Die Malerin von Fontainebleau
Zeit häufiger im Zusammenhang mit den Protestanten gesprochen wurde. Die Waldenser sollten im Piemont und in Frankreich Anhänger haben. Wollte ihr Bruder deshalb nach Frankreich? Aber was wusste sie schon? Niemand sprach über diese Dinge mit ihr. In der Werkstatt ging es nur darum, die Aufträge zu erfüllen, und die Arbeit war weiß Gott hart genug.
Im Schatten des Waldes, der sich noch ein Stück die Straße entlangzog, ging Luisa in Gedanken versunken weiter. Als die Sonne aufgegangen war, suchte sie sich einen geschützten Platz hinter einem Baum und aß von ihrem Proviant. Der würzige feste Käse und das Brot erschienen ihr wie eine Festmahlzeit, den Schinken sparte sie sich für später auf. Genau wie mit ihrem Nahrungsmittelvorrat versuchte sie auch mit ihren Kräften hauszuhalten, und so brauchte sie einen Tag länger bis Pontremoli, als sie geplant hatte.
Dort hörte sich Luisa in verschiedenen Gasthäusern nach Reisenden in den Norden um. Im »Roten Löwen« hatte sie Glück. Ein Bursche drängte sich mit wichtiger Miene an ihr vorbei und befahl dem Wirt: »Mach uns ein anständiges Essen, hörst du! Mein Herr ist ein wichtiger Mann und wird
vom Bischof in Piacenza erwartet. Jetzt eil dich! Wir wollen gleich aufbrechen.«
Luisa räusperte sich. Sie hatte die Haare zusammengebunden und den Hut ins Gesicht gezogen. Etwas Ruß am Kinn verlieh ihr ein maskulineres Aussehen, zumindest hoffte sie das. »Habe ich recht gehört, dass ihr nach Piacenza geht?«
Der Bursche musterte sie. Er mochte sechzehn oder siebzehn Jahre alt sein, seine Kleidung war geflickt, aber seine Stiefel waren aus gutem Leder, und wie es schien, ließ sich sein Herr gutes Essen etwas kosten. »Und was willst du?«
»Ich bin ein Künstler auf dem Weg an den königlichen Hof in Fontainebleau«, sagte sie, nahm die Schultern zurück und reckte stolz das Kinn vor. »Kann ich mit euch über den Passo della Cisa reisen?«
»Ein Künstler? Das kann ja jeder sagen. Was machst du denn?« Abschätzig sah er auf ihre verschmutzte Reisekleidung.
Für einen Fremden mochte sie tatsächlich aussehen wie ein dahergelaufener Taugenichts. Rasch nahm sie den Beutel vom Rücken und holte ihre Zeichnungen hervor. Das Wachspapier hatte den meisten Regen abhalten können, doch stellenweise waren Wasserflecken zu sehen. Luisa rollte einen Bogen auf einem der Schanktische aus. Die Männer stellten ihre Becher ab und begutachteten neugierig, was sie zu zeigen hatte.
»Sieh mal! So was Feines! Und das hast du junger Spund gemacht?«, staunte ein beleibter Mann mit roten Wangen.
Der Bogen zeigte die Heilige Familie auf der Flucht und Studien zu kleineren Engeln. Luisa hatte die Entwürfe vor eineinhalb Jahren gemacht.
»Sieh an. Du bist zwar jung, aber tatsächlich ein Künstler. Ich werde Monsignore von dir berichten.« Der Bursche hob den Kopf und blickte suchend durch den Raum, der sich mit
immer neuen Reisenden zu füllen begann. Es war noch früh am Morgen, und um den Pass bei Tageslicht zu überwinden, mussten die Gruppen früh aufbrechen.
Luisa folgte seinem Blick und entdeckte einen dünnen Mann in schwarzer Soutane, der verärgert mit seinem Stock auf ein Bündel am Boden deutete und dem Burschen mit einer herrischen Handbewegung bedeutete, zu ihm zu kommen.
»Monsignor Sampieri«, überschlug sich der Bursche vor Eilfertigkeit, während Luisa ihm folgte und beobachtete, wie der Geistliche mit zusammengekniffenen Lippen auf seinen Stock gestützt zusah, bis der Bursche sich den schweren Reisesack auf die Schultern gewuchtet hatte. »Wohin soll ich …?«
»Nach draußen natürlich, du Trottel! Die Träger sind dort und warten, aber zuerst will ich essen. Hast du bestellt?« Sampieris Stimme war kalt und schneidend und passte zu seinen undurchdringlichen, grauen Augen, die alles zu registrieren schienen, was um ihn herum vorging.
Ein Mann, mit dem man sich nicht anlegen und den man fürchten sollte, dachte Luisa und beneidete den Burschen nicht um seine Arbeit.
»Wo, Rutilio?« Ungeduldig sah Sampieri sich um.
Selbst mit dem Sack auf der Schulter war Rutilio behände genug, seinem Herrn den Tisch zu weisen und dem Wirt das Zeichen zum Auftragen zu geben.
Luisa verdrückte sich in eine Ecke und wartete auf die Rückkehr Rutilios. Dabei überlegte sie, woher sie den Namen Sampieri kannte oder ob sie sich das nur einbildete. Die Soutane des Monsignore war schwarz und hatte violette Knöpfe und Knopflöcher. Sein Zingulum war ebenfalls
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