Die Malerin von Fontainebleau
Entwurf der Semele selbst übertroffen, und du hast ihn mit unglaublicher Sensibilität ausgeführt.« Nachdenklich legte er einen Finger an die Lippen. »Ich bin wirklich gespannt auf ihr Gesicht. Wird sie ihn ansehen?«
»Nein. Sie liegt mit leicht nach hinten geneigtem Kopf, geöffneten Lippen und geschlossenen Augen. Die Perspektive ist heikel, weil ich das Gesicht von oben und der Seite malen muss. Aber so wird die Beziehung zwischen Jupiter und dieser Sterblichen, der er in Liebe zugetan war, noch eindrucksvoller. Der Betrachter steht ja unten und sieht praktisch Jupiters zwiespältige Gefühle, während der seine Geliebte anschaut.«
»Dann wirst du morgen fertig!«
Sie nickte und spritzte sich Wasser aus einer bereitstehenden Schüssel ins Gesicht. Wenn Meister Rosso genauso begeistert wie Matteo war, würde er sie vielleicht in Fontainebleau behalten wollen.
»Sag mal, hast du Rabelais’ Gargantua gelesen?« Er wartete, bis sie sich abgetrocknet hatte, um dann mit ihr das Kabinett zu verlassen. Auch die anderen in der Galerie hatten ihre Arbeit mittlerweile beendet.
»Das Buch, das er nach dem Pantagruel geschrieben hat? Gehört habe ich davon. Bücher, von denen die Konservativen nicht angetan sind, oder?« Sie sah sich nach Rosso um, doch das Gerüst vor L’Unité de l’État , der Einheit des Staates, war leer. Auf der gegenüberliegenden Seite prangte der gewaltige Elefant unter eindrucksvollen Stuckfiguren und dem obligatorischen goldenen Salamander.
»Genau, und deshalb sind sie ja so interessant. Brauchst nicht nach Meister Rosso zu suchen«, deutete Matteo ihren Blick richtig. »Er ist mit Primaticcio, Le Breton, Badonin und einigen Kupferstechern in Besprechungen, es geht um den Zeitplan. Im Übrigen liest selbst Katharina de Medici Rabelais, wie ich gehört habe. Im siebenundfünfzigsten Kapitel gibt es eine bemerkenswerte Stelle.« Er machte eine spannungsgeladene Pause.
Luisa ging durch die Türen am westlichen Ende der Galerie, wo sie im Korridor auf weitere Künstler trafen, die ebenfalls auf dem Weg in die Küchen waren. »Ja?«
»Da geht es um die Lebensweise der Thelemiten. Diese sollen sich nicht nach Gesetzen und Regeln richten, sondern nach ihrem eigenen Willen und der freien Entscheidung. Stell dir das mal vor, die einzige Ordensregel hieß: Tu, was du willst!«
»Erst hältst du mir einen Vortrag über das Schicksal der Katharer und vergleichst sie mit den Vaudois, und jetzt das? Matteo, ich habe genug Sorgen!« Verärgert stieß sie mit dem Fuß gegen eine Holzkiste, in der es daraufhin raschelte und quiekte. Aus der Küche kam eine Vielzahl verlockender Düfte, denn der König weilte in Fontainebleau. Gestern war er
mit seinem Gefolge auf der Jagd gewesen und hatte verkünden lassen, dass sie erst morgen nach Paris weiterreisen würden.
Matteo griff sie fest am Arm und zog sie mit sich zur Wand, außer Hörweite von zwei Mägden und einigen römischen Stukkadoren. Luisa erkannte Lonzo, der auf ihren Bruder geschimpft hatte, und verzog das Gesicht. Hier wussten alle nur, dass Armido bei einem Überfall getötet worden war, und gegen Gerüchte konnte sie nichts machen.
»Ich denke weiter, Luca. Wenn Katharina de Medici Rabelais liest, ist sie toleranter als ihr Gatte, der ganz unter dem Pantoffel der Poitiers steht. Es ist wichtig zu wissen, wo die Leute bei Hof stehen. Man kann nie wissen, wen man braucht, oder nicht? Dein Meister Rosso ist doch wieder ziemlich dicke mit Pellegrino.«
Sie machte sich los. »Ach, lass mich. Was geht es dich an! Ich habe keinen Hunger.«
Angesichts der Männer, von denen viele sie misstrauisch und manche sogar feindselig musterten, seit sie ohne Armido aus Embrun zurückgekehrt war, verspürte sie kein Verlangen, sich an einen der langen Tische zu setzen. Scibec war nicht zu sehen. Wahrscheinlich war er mit den anderen in der Besprechung. Als sie ihn gebeten hatte, das Zimmer mit ihr zu tauschen, hatte er das ohne Zögern getan. Sie wusste, dass Rosso keine Zeit hatte, wenn der König hier war, und dennoch hatte sie das Gefühl, dass noch etwas anderes ihn davon abhielt, sich allein mit ihr zu treffen. Der Verlust ihres Bruders wog schwer genug, und sie verdrängte den Gedanken, dass Rossos Gefühle zu ihr erkaltet waren, obwohl sich diese Möglichkeit nicht von der Hand weisen ließ.
Mit hängendem Kopf und schwerem Herzen stieg sie die Treppen hinauf zu den Quartieren. Unterwegs stieß sie mit einem der Diener zusammen, der etwas
Weitere Kostenlose Bücher