Die Malerin von Fontainebleau
irgendwann eine Stimme, und wieder erschienen Beine, dieses Mal blieben sie neben ihr stehen. Ihre Sicht war getrübt, und sie sah nur verschwommene Umrisse.
Sie stammelte etwas und spürte, wie sie hochgehoben wurde. Dann kippte man ihr kaltes Wasser ins Gesicht. Ihre Zunge war schwer und pelzig. Alles, was sie herausbrachte, war ein unverständliches Stammeln.
»Dreht ihn um. Er muss sich erbrechen.« Eine neue Stimme.
Man zerrte an ihr herum, klopfte ihr auf den Rücken, und dann stieß ihr jemand etwas Widerliches in den Hals, das sie herauszuwürgen versuchte, aber nicht loswerden konnte. In Todesangst würgte und hustete sie und schlug nach denen, die sie gepackt hielten und ihr den Hals zudrückten. Als sie schon glaubte zu ersticken, gab der Widerstand endlich nach, aber ihr Magen war in Aufruhr, und ihre wunde Speiseröhre würgte und krampfte, bis sie den gesamten Mageninhalt
hinausbefördert hatte. Erschöpft sank sie auf den Rücken und fühlte sich dem Tod näher als dem Leben. Ihre Atmung wurde flach, und sie versank in einen unwirklichen Zustand zwischen Schlaf und Wachen.
Mit einem Mal wurde es hell um sie, und sie hörte eine vertraute Stimme, die ihren Namen rief. »Luisa!«
Sie weinte glücklich. »Armido!«
Ihr Bruder stand vor dem Fenster am Fußende ihres Bettes. Das Licht hinter ihm umhüllte seinen Kopf mit einer Gloriole. Sein Gewand war gleißend weiß, und er lächelte sie an. »Komm mit mir, Luisa. Meine Frau und unsere Eltern warten auf uns.« Er streckte ihr die Hände entgegen, und sie wollte sie ergreifen, als ein dunkler Schatten es verhinderte und sich über sie beugte.
Ihr Bruder verschwand, und es wurde dunkel. »Nein!«, rief sie laut. »Geh nicht fort, Armido! Lass mich nicht hier allein …« Schluchzend öffnete sie die Augen und starrte in die Dunkelheit ihrer Kammer.
Sie lag in ihrem Bett im Schloss von Fontainebleau. Auf dem Tisch verlöschte eben eine Kerze, und durch das geöffnete Fenster sah sie den Mond. Und dann bewegte sich der dunkle Schatten neben dem Bettpfosten auf sie zu.
Ängstlich krallten sich ihre Hände in das Bettlaken. »Ich komme in die Hölle …«, murmelte sie.
»Sei nicht albern. Deine Vergehen sind nicht schwerwiegend genug, um den Teufel zu locken, und außerdem glaube ich nicht an die Hölle. Aber sag es niemandem, sonst werde ich auch als Ketzer verurteilt. Selbst Künstler genießen nur ein begrenztes Quantum an Narrenfreiheit.«
»Du?« Ihre Augen hatten sich an das spärliche Licht gewöhnt, und sie erkannte die vertraute Gestalt von Meister Rosso. Seine Stirn war gerunzelt, als er sich zu ihr auf die Bettkante setzte und ihr die Stirn fühlte.
»Noch kalt, aber besser als vorhin. Was hast du dir nur dabei gedacht?«
»Wieso ….?« Verständnislos suchte sie nach einer Erklärung für seinen vorwurfsvollen Gesichtsausdruck.
»Nun, hast du nicht versucht, deinem irdischen Dasein zu entfliehen?«
»Bitte? Du meinst, ich wollte mich umbringen?« Sie hustete. »Oh, du solltest mich besser kennen. Ich habe nicht den Mut eines Empedokles.«
Da entspannte sich Rossos Gesicht, und er griff nach ihrer Hand. »Ich habe es auch den anderen gegenüber abgestritten, die diese Möglichkeit in Erwägung zogen.«
»Den anderen?« Beschämt erinnerte sie sich an ihr würdeloses Verhalten.
»Mach dir keine Gedanken. Scibec hat dich gefunden und sofort nach mir geschickt, und ich habe Michel Remin, den Medicus, der deinen Bruder damals in Paris versorgt hat, zu Rate gezogen. Nur wir beide haben dich entkleidet und zum Erbrechen gebracht, und Remin wird nichts sagen.«
Erst jetzt bemerkte sie, dass sie nackt unter dem Laken lag. »Oh.«
Sanft drückte Rosso ihre Hand. »Luca, nein, ab heute werde ich dich Luisa nennen, denn Lucas Zeit hier in Fontainebleau ist vorbei.«
»Nein! Bitte, schick mich nicht fort! Die Semele ist fast fertig. Ich fühle mich schon viel besser. Morgen kann ich wieder arbeiten, und dann …«
Doch Rosso schüttelte den Kopf, und seine Augen duldeten keinen Widerspruch. »Diesmal nicht. Luisa, begreifst du denn nicht? Jemand hat versucht, dich zu vergiften!«
Tränen liefen ihr die Wangen hinunter. Deswegen musste sie gehen. Jemand wollte sie aus dem Weg räumen, und deshalb musste sie gehen. »Aber wer? Ich will doch niemandem
etwas Böses!«, schluchzte sie. »Ich will doch nur hier bei dir sein und malen.«
Er streichelte ihr die Hand und legte sie auf das Laken. »Es spielt keine Rolle, obwohl ich meine
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