Die Marionette
verlor. Wie paralysiert hatte sie an jenem Tag, an dem sie Zeuge dieses Gesprächs zwischen Eric Mayer und Don Martinez geworden war, das Krankenhaus verlassen und einen Tag später Koblenz. Sie hatte mit Eric nicht darüber gesprochen, was sie erfahren hatte. In Koblenz nicht und auch nicht hier in Genf. In stillem Einvernehmen hatten sie beide geschwiegen über die Ereignisse der vergangenen Wochen, waren um sie herummanövriert wie um gefährliche Klippen und hatten doch die Schatten nicht fernhalten können von den wenigen ruhigen Stunden, die ihnen zusammen vergönnt waren. Und dann war Eric gegangen, zurück in seine Welt.
Das Schiff erreichte das Ufer. Sie stieg aus, ihre Aktentasche unter dem Arm. Auf dem Steg warteten bereits die Passagiere für die Rückfahrt. Zwei junge Männer waren unter ihnen, Soldaten in der Uniform der Schweizer Armee. Valeries Blick blieb an ihren jungen Gesichtern hängen. Gesichter, die noch so glatt waren, fast noch kindlich wirkten. Auch die Schweizer beteiligten sich mit kleinen Kontingenten an den Friedensmissionen der internationalen Staatengemeinschaft. Valerie schaute den beiden Soldaten nach, wie sie sich auf den Platz setzten, den sie selbst gerade verlassen hatte, über das Wasser blickten, plötzlich lachten und in die Sonne blinzelten. Sie wünschte sich, dass sie wirklich so unbeschwert, so heiter waren, wie sie sich gaben. Dass sie niemals einen Krieg erleben, niemals die Angst spüren, das Grauen erleben mussten, das ihre Seelen zerbrach. Sie wandte sich schließlich ab und ging auf das monumentale Gebäude der Vereinten Nationen zu. Die Trauer um Katja, um ihr verschenktes Leben und um all die Männer und Frauen, die ihr Schicksal teilten, würde noch lange in ihr nachhallen. Sie waren immer die Verlierer, egal, wie ein Krieg endete.
»… Und fast hatte ich den Eindruck, sie hatten große Angst, nach Hause zu fahren. Angst, ob man sie dort verstehen würde, ob sie sich wieder zurechtfinden würden. Ohne den Dreck, den Staub, die Hitze, die Dixi-Klos, das Blut, die Gewehre, das Adrenalin. Als hätten sie Angst davor, keine Angst mehr haben zu müssen. Angst, die man ja nicht hatte. Nicht haben konnte, nicht haben durfte, nicht hatte also. Ein Soldat hat keine Angst. Darf er also Angst davor haben, keine Angst mehr zu haben, wo er doch gar keine hatte? Wer soll das verstehen in Deutschland, wo man in beheizten Wohnungen sitzt, in Büros mit Klimaanlagen arbeitet, wo man alles kaufen, alles essen kann, unbeschwert über jeden Rasen laufen kann, weil es dort keine Minen gibt … Wer soll das verstehen? …«
(»Ein schöner Tag zum Sterben«, Heike Groos. Die ehemalige Angehörige der Bundeswehr im Dienstgrad des Oberstabsarztes war mit Unterbrechungen insgesamt zwei Jahre in Afghanistan, zuletzt 2007.)
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Anmerkung und Danksagung
D as große Thema Kriegstrauma lässt sich nicht losgelöst von der Historie betrachten. Die Greuel, die sowohl Soldaten als auch Zivilisten im Krieg erleben, konnten vor dreihundert, hundert oder fünfzig Jahren ebenso wenig aus den Seelen der Menschen getilgt werden wie heute. Veteranen leben häufig am Rand der Gesellschaft, und die Kriege – damals wie heute – dienen in den seltensten Fällen dem Kampf für Freiheit und Gerechtigkeit.
Während ich diese Zeilen schreibe, sind erneut deutsche Soldaten in Afghanistan gefallen. Sie wurden Opfer eines Sprengstoffattentats, die Wucht der Detonation war unerwartet groß, die Staatengemeinschaft zeigte sich überrascht von der Feuerkraft der Taliban. Die Nähe zu den von mir geschilderten Ereignissen zu Beginn des Thrillers »Die Marionette« ist für mich selbst nach der intensiven Recherchearbeit noch erschreckend. Natürlich sind die von mir geschilderten Ereignisse reine Fiktion, die Akteure meiner Phantasie entsprungen, ohne dass es lebende oder verstorbene Vorbilder gibt. Der Roman spielt jedoch vor einem weltpolitischen Hintergrund, der jedem aufgeklärten Leser vertraut sein dürfte.
Während meiner Arbeit und meiner Recherchen habe ich viel erfahren über die Struktur der Armee und über ihre Soldaten. Über den Dienst an unserem Land und über die Zustände an der afghanischen Front, die keine ist, da Deutschland offiziell keinen Krieg führt. Und über das Schicksal der Männer und Frauen, die aus diesem nicht geführten Krieg versehrt nach Hause zurückkehren, verletzt an Seele und Leib. Weder seitens der Bevölkerung noch ihres Arbeitgebers, der
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