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Die Markgräfin

Die Markgräfin

Titel: Die Markgräfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weigand
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Betstuhl in der Ecke, über dem ein einfaches
Kruzifix hing, kniete sich hin und sprach ein lautloses Vaterunser. Brandgeruch wehte durchs Fenster herein und drang ihr widerlich in die Nase. Sie glaubte, verbranntes Fleisch zu riechen. Übelkeit stieg in ihr auf. Ihr Magen revoltierte, und sie erbrach sich würgend.
    Später streckte sie sich auf dem Bett aus, schloss die Augen und versuchte, tief und gleichmäßig zu atmen. Ihre Brüste schmerzten, als würden sie geschlagen. Seit Wochen hatte sie keine Blutung mehr gehabt. Sie legte beide Hände auf ihren Unterleib. Barmherzige Jungfrau, sie war schwanger.
     
    Kulmbach brannte drei Tage lang. Droben von der Burg aus sahen die Überlebenden verzweifelt zu, wie alles zu Asche wurde, was sie einmal besessen hatten. Am Ende stand nichts mehr unversehrt außer dem Tor zur Langen Gasse. Von Kulmbach war nurmehr eine Ruinenlandschaft geblieben. Selbst die Kirche war ein Raub der Flammen geworden. Außer denen, die das Glück hatten, auf der Burg Einlass zu finden, war nur manchen die rechtzeitige Flucht in umliegende Dörfer und Gehöfte gelungen. Die meisten anderen überlebten den Konraditag nicht – später fanden vom Schloss ausgeschickte Stoßtrupps die Toten in den Weingärten und Wäldern, erfroren und verhungert. Die Chroniken berichteten Schreckliches: »Und hat das arme Volk mitten im Winter aus der Stadt fliehen müssen, dabei dann sehr wehe geschehen
denen Schwangeren und Säugerinnen, den armen Wöchnerinnen und kranken Leuten. Man hat ihrer in Kindsnöten aus den Gewölbern und Hütten gestoßen, ihnen Speis und Trank und alles was sie gehabt genommen, die Hütten über ihnen angezündet. Hernach hat man um Kulmbach viel Menschen, da erfroren und hungers gestorben, tot gefunden. Darunter ein armes Weib, mit einem säugenden Kindlein und Hündlein, so sich auf das ganz verstorbene Weib geschmieget, in einem alten Gemäuer in der Wolfskehle tot aufgefunden … «
    Die Bundesständischen konzentrierten sich nun ganz auf die Belagerung der Plassenburg, der letzten Bastion des Markgrafen Albrecht Alkibiades im Land auf dem Gebirg.

Kulmbach, 26 .November 2002
    Kleinert stoppte seinen weißen Volvo an der Schranke des Äußeren Tores, die den Zugang zur Plassenburg abriegelte. Er kurbelte das Fenster herunter und drückte auf den Sprechknopf. Haubolds Stimme erklang: »Ja?«
    »Wir sind’s, mach auf!«
    Im Hintergrund trällerte Kellermanns Bariton: »Ja, ja, der Chiantiwein … « Der Pfarrer war ausgesprochen
gut gelaunt, wie jedes Mal beim Konradi-Abend. Der sechsundzwanzigste November war seit einigen Jahren ein fester Termin im Kalender der »Forschenden Vier«. An diesem denkwürdigen Tag trafen sich die vier Herren regelmäßig, um der Zerstörung Kulmbachs im Jahr 1553 zu gedenken. Das Gedächtnistreffen wurde allerdings dadurch aufgelockert und seiner naturgegebenen Tristesse nahezu beraubt, dass Haubold zu diesem Anlass jedes Mal etliche Flaschen besten italienischen Rotwein köpfte und dazu üppige Käse- und Schinkenplatten servierte. Seine Frau Susanne und die Kinder verbrachten diese Abende üblicherweise bei Freunden, um dem Gelage zu entgehen.
    Die Schranke ging hoch, und Kleinert lenkte seinen Wagen hinauf zum Rondell, wo er direkt neben dem Eingangstor zum Hochschloss parkte. Der Archivar, Pfarrer Kellermann und Lehrer Götz stiegen aus, zuletzt noch Thomas Fleischmann und Geli Hufnagel, die seit der letzten Sitzung im »Schiff« gnädig in den Kreis der »Forschenden Vier« aufgenommen waren.
    Gregor Haubold öffnete mit dem Korkenzieher in der Hand. »Nur herein, nur herein!« Der Kastellan machte die Tür weit auf. »Ihr seid zu früh dran; ich bin noch beim Dekantieren.« Er goss den 96 er Brunello di Montalcino in eine Karaffe und verteilte die Gläser.
    Alle sechs nahmen um den runden Esstisch Platz und setzten feierliche Mienen auf. Dann erhob sich Kellermann. Er zog seinen gestrickten Pullunder zurecht, klopfte mit dem Messerrand an sein Weinglas und schlug über der Tischrunde das Zeichen des Kreuzes. Anschließend begann er, die rituellen einführenden Worte zu sprechen.
    »Liebe Freunde, wir sind heute zusammengekommen im Angesicht des Herrn, um des Schrecklichen zu gedenken, das geschehen ist im Jahr fünfzehnhundertdreiundfünfzig nach Christi Geburt. Wir trauern um die Zerstörung unserer Heimatstadt und beklagen den Tod so vieler Unschuldiger. Herr, gib ihnen den ewigen Frieden und lass sie schauen dein Himmelreich. Und wir

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