Die Markgräfin
Landsknechten mit ihren Weibern und der restlichen Besatzung?« Georg nahm einen tiefen Schluck aus der Zinnflasche. »Unsere Vorräte sind begrenzt. Wenn wir eine Belagerung durchstehen wollen, können wir nicht auch noch das Stadtvolk durchfüttern.«
»Aber sie sterben da draußen! Wenn die Bundesständischen sie nicht niedermachen, dann erfrieren und verhungern sie im Wald. Es ist Winter, und sie können nirgends hin! Frauen und Kinder, Georg!«
Der Hauptmann verzerrte das Gesicht zu einer Hilfe heischenden Grimasse.
»Ich weiß, Bärbel. Glaubst du, ich hab ein Herz aus Stein? Der Krieg ist grausam, das ist nichts für eine Frau wie dich. Aber du musst einfach verstehen. Wir haben gerade genug Vorräte, um tausend Menschen drei Monate lang zu ernähren. Und wir sind schon ohne die Kulmbacher weit über tausend.«
Barbara packte ihn bei den Schultern und drehte ihn um, sodass er aus dem Fenster sehen konnte. Sie zeigte mit ausgestrecktem Arm auf die Menschen vor dem Unteren Burgtor. Die Ersten hatten schon aufgegeben und waren in die Wein- und Obstgärten geflüchtet, die um die Burg am Schlossberg lagen. Andere liefen auf die Wolfskehle zu, die tiefe und enge Schlucht, die den Schlossberg vom gegenüberliegenden Rehberg trennte. Einige völlig Verzweifelte ließen sich schicksalsergeben vor dem verrammelten Burgtor nieder. Von der Stadt aus kam ein kleiner Trupp Reiter Lanzen und Schwerter schwingend den Weg hochgaloppiert: Die ersten Bundesständischen hatten in der lodernden Stadt genug geplündert und suchten nun weitere Opfer. Sie erreichten ein Trüppchen Flüchtlinge, und der grausige Totentanz begann. Zwei Minuten später lagen elf blutige Leichen mit aufgeschlitzten Bäuchen und durchschnittenen Kehlen auf dem Schlossweg. Die Landsknechte stürmten weiter bergauf.
»Da! Schau genau hin, Georg, schau hin! Was jetzt passiert, ist dein Werk! Ich fleh dich an, lass aufmachen, bevor es zu spät ist!«
»Es tut mir Leid. Befehl des Markgrafen. Und Notwendigkeit. Es geht auch um unser Überleben, Bärbel. Weiß Gott, dass mir das keinen Spaß macht. Schau, ich sauf schon wieder.« Er setzte die Flasche an und leerte sie mit ein paar Schlucken.
»Dann sauf dich doch tot!« Die Stimme der Markgräfin überschlug sich. »Es wär kein Schaden, und auf einen mehr oder weniger kommt’s heut nicht an!«
Mit einem Fluch warf der Hauptmann die leere Flasche aus dem Fenster. Seine Stimme wurde leise, und seine Augen blitzten böse.
»Hüte dich, was du sagst, Bärbel. Hier im Schloss gehen Dinge vor … Noch schütz ich dich. Aber ich kann auch anders. Geh jetzt ins Frauenzimmer und find dich ab. Du wirst die Sache nicht ändern.«
Barbara zuckte zusammen. Was wusste Georg? Was meinte er damit, dass er sie schützte? Plötzlich stieg Furcht in ihr hoch, in ihrem Hals ballte sich ein Kloß. Sie raffte die Decke über ihren Kleidern zusammen und verließ hastig die Türmerstube. Schnellen Schrittes lief sie zum Pfaffenhaus. Sie hätte den Weg inzwischen blind gehen können, so oft hatte sie sich im Schutz der Dunkelheit hierher getastet und war noch vor Tagesanbruch wieder zurück in ihre Kemenate gehuscht. Jetzt öffnete auf ihr Klopfen allerdings
nicht Jakob Tiefenthaler, sondern Georg Thiel. Er war offensichtlich in Eile, prallte verdutzt zurück ob des unerwarteten Besuchs und blies erschrocken die Backen auf.
»Oh, ich bitte um Vergebung, Euer markgräfliche Gnaden … «
»Ich suche den Kaplan Tiefenthaler, Vater.«
Thiel schüttelte bedauernd den Kopf. »Er ist vorhin in den Äußeren Hof hinuntergegangen, um den Flüchtlingen Beistand zu leisten, Liebden. Ich bin auch grade dorthin unterwegs, ich habe nur noch das Psalmenbuch geholt. Was für ein Unglück! Der Herr steh uns bei. Entschuldigt Ihr mich?« Er rannte mit flatternder Soutane die Treppe hinunter und aufs Innere Tor zu.
Barbara beschloss zu warten und blieb allein in der Pfaffenwohnung zurück. Sie setzte sich auf die strohgefüllte Matratze des einzigen Betts im Raum und strich gedankenverloren die blau gestreiften Barchentlaken glatt. Sobald Jakob zurückkam, würde sie ihn vor Georg warnen. In welche Gefahr hatte er sich bloß begeben! Und sie hatte ihn selber dazu gebracht. Sie machte sich bitterste Vorwürfe. Falls die Verschwörung aufgedeckt würde, war ihr aller Schicksal besiegelt. Die Markgräfin ließ ihren Blick ziellos in dem kargen Raum schweifen. Die Angst schnürte ihr die Kehle zu. Um wieder ruhig zu werden, ging sie zum
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