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Die Mars-Chroniken

Die Mars-Chroniken

Titel: Die Mars-Chroniken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ray Bradbury
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rief Edward.
    »Ich bin ja auch ein alter Mann«, sagte der Kapitän schweratmend, »und du bist immer noch jung. Aber erinnerst du dich – du hast mich sowieso immer geschlagen!«
    Auf der Schwelle stand Mama, rosa, drall, strahlend. Hinter ihr, pfeffergrau, wartete Paps, die Pfeife in der Hand.
    »Mama! Paps!«
    Wie ein Kind rannte er die Stufen hoch.
     
    Es war ein herrlicher langer Nachmittag. Nach dem späten Mittagessen saßen sie im Wohnzimmer, und er erzählte ihnen von seiner Rakete, und sie nickten und lächelten, und Mutter hatte sich überhaupt nicht verändert, und Paps biß wie früher das Ende seiner Zigarre ab und zündete sie nachdenklich an. Am Abend gab es Truthahn, und die Zeit verströmte nur so. Als die Schenkelknochen blankgenagt auf den Tellern lagen, lehnte sich der Kapitän zurück und seufzte befriedigt. Die Nacht hing in den Bäumen und färbte den Himmel, und die Lampen bildeten rosafarbene Lichthöfe im stillen Haus. Aus den anderen Häusern entlang der Straße tönte Türenschlagen und Lachen und Klavierspiel herüber.
    Mama legte eine Platte auf die Victrola, und sie und Kapitän John Black tanzten. Sie hatte noch das gleiche Parfüm wie damals in dem Sommer, als sie und Paps bei einem Zugunglück ums Leben kamen. Sie fühlte sich sehr wirklich an in seinen Armen und sie tanzten langsam im Takt der Musik. »Nicht jeden Tag«, sagte sie, »bekommt man eine zweite Chance zu leben.«
    »Ich wache bestimmt morgen auf«, sagte der Kapitän, »und bin wieder in meiner Rakete, draußen im All – und das alles ist verschwunden.«
    »Nein, das darfst du nicht glauben«, flehte sie leise. »Stell keine Fragen. Gott ist gut zu uns. Akzeptieren wir das Glück, das er uns schenkt.«
    »Es tut mir leid, Mama.«
    Die Melodie auf der Schallplatte ging mit kreiselndem Zischen zu Ende.
    »Du bist bestimmt müde, mein Sohn.« Paps deutete mit der Pfeife nach oben. »Dein altes Zimmer wartet auf dich – auch dein Messingbett ist noch da.«
    »Aber ich müßte meine Leute zusammentrommeln.«
    »Warum?«
    »Warum? Na ja, ich weiß nicht. Ist vielleicht nicht nötig. Ja, du hast recht. Sie essen wohl gerade oder sind schon im Bett. Es wird ihnen gut tun, wenn sie sich einmal richtig ausschlafen können.«
    »Gute Nacht, mein Sohn.« Mama gab ihm einen Kuß auf die Wange. »Es ist schön, daß du wieder zu Hause bist.«
    »Es ist schön, wieder zu Hause zu sein.«
    Er verließ das Land des Zigarrenrauchs und Parfüms, das Land der Bücher und des weichen Lichts und ging im Gespräch mit Edward nach oben. Edward stieß eine Tür auf – und da waren das gelbe Messingbett und die alten Wimpel von der Universität und ein sehr verstaubter Waschbärenmantel, den er liebevoll betastete. »Das ist einfach zuviel«, sagte der Kapitän. »Ich bin betäubt und müde. Zuviel ist heute passiert. Es kommt mir vor, als wäre ich schon achtundvierzig Stunden in strömendem Regen ohne Schirm unterwegs. Ich bin bis auf die Haut mit Gefühlen durchtränkt.«
    Edward schlug das schimmernd weiße Bett auf und beklopfte die Kissen. Er schob das Fenster hoch und ließ den nächtlichen Jasminduft herein. Draußen war Mondschein und leise Tanzmusik und Flüstern.
    »Das ist also der Mars«, sagte der Kapitän während des Ausziehens.
    »Das ist er.« Mit langsamen, abgewogenen Bewegungen folgte Edward seinem Beispiel; er zog sich das Hemd über den Kopf und enthüllte goldene Schultern und einen ausgeprägten, muskulösen Hals.
    Das Licht war gelöscht; sie lagen nebeneinander im Bett wie in den guten alten Tagen. Vor wie vielen Jahrzehnten war das gewesen? Der Kapitän träumte vor sich hin und ließ den Jasminduft auf sich einwirken, der die Spitzenvorhänge in die dunkle Luft des Zimmers wölbte. Zwischen den Bäumen, irgendwo auf einem Rasen, hatte jemand einen tragbaren Fonographen in Betrieb gesetzt, der leise ›Immer‹ spielte.
    Da mußte er an Marilyn denken.
    »Ist Marilyn hier?«
    Sein Bruder, der ausgestreckt im Mondlicht, das zum Fenster hereinfiel, neben ihm lag, antwortete nicht sofort. Schließlich sagte er: »Ja. Sie ist nur nicht in der Stadt, sie kommt morgen früh.«
    Der Kapitän schloß die Augen. »Ich möchte Marilyn sehr gern wiedersehen.«
    Jetzt waren nur noch die Atemzüge der Männer zu hören.
    »Gute Nacht, Ed.«
    Eine Pause. »Gute Nacht, John.«
    Entspannt lag er im Bett und ließ seine Gedanken wandern. Zum erstenmal streifte er die Anspannungen des Tages ab; er konnte wieder logisch denken.

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