Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Mars-Chroniken

Die Mars-Chroniken

Titel: Die Mars-Chroniken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ray Bradbury
Vom Netzwerk:
verließ die Hütte, um sie sich aus einiger Entfernung liebevoll zu betrachten. Da stand sie auf dem Seegrund, vollkommen wie ein frisch gelegtes Ei, auf viele hundert Meilen der einzige wärmende Lichtfleck in der Öde. Sie glich einem Herz, das einsam in einem großen dunklen Körper schlug. Der Stolz überwältigte ihn fast. Tränen stiegen ihm in die Augen.
    »Da fühlt man sich wirklich ganz klein«, sagte er inmitten des Wienerwürstchendufts, des Dufts nach warmen Brötchen und Butter. »Kommt herein«, wandte er sich an die Sterne am Himmel. »Wer ist der erste Kunde?«
     
    »Sam«, sagte Elma.
    Am dunklen Himmel veränderte sich die Erde.
    Sie fing Feuer.
    Ein Teil des Globus schien in eine Million Stücke zu zerbersten, als fiele ein gewaltiges Puzzlespiel auseinander. Eine Minute lang erstrahlte die Erde in unheimlichem Glanz, die Helligkeit stieg auf das Dreifache an, dann ließ sie langsam wieder nach.
    »Was war das?« Sam betrachtete das grüne Feuer am Himmel.
    »Die Erde«, sagte Elma und preßte die Hände zusammen.
    »Das kann doch nicht die Erde sein, nein, das ist nicht die Erde! Unmöglich!«
    Mit offenem Mund stand er da, reglos, und seine Arme hingen schlaff herab, und in seinen weit aufgerissenen Augen war ein glasiger Ausdruck.
    »Sam.« Sie rief seinen Namen. Zum erstenmal seit Tagen leuchteten ihre Augen. »Sam?«
    Er schaute zum Himmel.
    »Also«, sagte sie. Schweigend blickte sie noch eine Minute zum Himmel. Dann drapierte sie geschäftig ein feuchtes Handtuch über ihren Arm. »Schalt noch mehr Lichter ein, stell die Musik lauter, mach die Türen auf. In etwa einer Million Jahren kommen vielleicht wieder Kunden, da muß man doch vorbereitet sein. Hörst du? Beeil dich!«
    Sam rührte sich nicht.
    »Was für ein vorzüglicher Platz für einen Würstchenstand«, sagte sie. Sie nahm einen Zahnstocher aus einem Glas und steckte ihn in den Mund. »Ich will dir ein kleines Geheimnis verraten, Sam«, flüsterte sie und beugte sich zu ihm hinüber. »Es sieht ganz so aus, als würde das ‘ne schlechte Saison.«

November 2005: Die Zuschauer
     
    In dieser Nacht kamen sie alle aus den Häusern und starrten in den Himmel. Sie ließen ihr Abendbrot oder ihren Abwasch stehen oder zogen sich rasch wieder an, wenn sie schon ausgekleidet waren, und sie traten auf ihre nicht-mehr-so-neuen Veranden und beobachteten den hellen grünen Erdenstern. Es war eine ganz unbewußte Bewegung; etwas, das ihnen helfen sollte, die eben gehörte Radionachricht zu verstehen. Dort waren sie also – die Erde und der drohende Krieg und viele hundertausend Mütter oder Großmütter oder Väter oder Brüder oder Tanten oder Onkel oder Kusinen. Sie standen auf den Veranden und versuchten sich die Erde vorzustellen, so wie sie vor langer Zeit versucht hatten, sich den Mars vorzustellen; es war dasselbe Problem mit umgekehrtem Vorzeichen. Für sie war die Erde tot gewesen; sie waren nun schon drei oder vier Jahre von ihr fort. Der Weltraum war ein Betäubungsmittel – siebzig Millionen Meilen leeres All hatten eine lähmende Wirkung, sie ließen Erinnerungen einschlafen, entvölkerten die Erde, löschten die Vergangenheit aus und erlaubten es den Menschen, hier ihr Leben zu leben. Doch heute abend, ganz plötzlich, waren die Toten wiederauferstanden, die Erde war wieder bewohnt, die Erinnerungen meldeten sich, und eine Million Namen wurden ausgesprochen: Was wohl Der-und-der heute abend macht auf der Erde? Und was ist mit diesem und jenem? Die Menschen auf den Veranden sahen sich von der Seite an.
    Um neun Uhr schien die Erde zu explodieren; sie schien Feuer zu fangen und langsam auszubrennen.
    Die Menschen auf den Veranden hoben die Hände; als wollten sie die Flammen ersticken.
    Sie warteten.
    Gegen Mitternacht war das Feuer gelöscht. Die Erde war noch vorhanden. Ein Seufzen ertönte von den Veranden, ein Seufzen wie der Wind im Herbst.
    »Wir haben schon lange nichts von Harry gehört.«
    »Es geht ihm sicher gut.«
    »Wir sollten Mutter eine Nachricht zukommen lassen.«
    »Es geht ihr gut.«
    »Wirklich!«
    »Na, na, nun mach dir keine Sorgen.«
    »Geht es ihr wirklich gut, was meinst du?«
    »Natürlich, natürlich. Komm zu Bett.«
    Aber niemand rührte sich. Hier und dort wurden späte Mahlzeiten auf die nächtlichen Rasenflächen getragen und auf Klapptische gestellt, und die Menschen aßen langsam, bis es zwei Uhr war und das Lichtradio von der Erde zu blinken begann. Sie lasen die großen Morseblitze, die wie

Weitere Kostenlose Bücher