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Die Mars-Chroniken

Die Mars-Chroniken

Titel: Die Mars-Chroniken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ray Bradbury
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hinter ihn.
    Er drehte sich nicht um. Er spürte einen kalten Hauch und hatte Angst, sich umzudrehen. Er spürte, daß etwas hinter ihm saß, zerbrechlich wie ein Atemzug an einem kalten Morgen, blau wie Hickoryrauch im Zwielicht, ein Wesen wie alte weiße Spitzen, wie eine Schneeflocke, wie der Reif des Winters auf brüchigem Riedgras.
    Es ertönte ein Geräusch wie dünnes, zerbrechendes Glas – ein Lachen. Dann Schweigen. Er wandte sich um.
    Eine junge Frau saß reglos auf der Ruderbank. Ihre Handgelenke waren dünn wie Eiszapfen, ihre Augen so klar und ruhig und weiß wie Monde. Der Wind erfaßte sie, und wie ein Spiegelbild auf einer dunklen kalten Wasserfläche begann sie sich zu kräuseln, und die Seide stand von ihrem zerbrechlichen Körper ab wie blaue Regenspritzer.
    »Kehren Sie um«, sagte sie.
    »Nein.« Sam zitterte – das kaum merkliche Zittern einer Hornisse, die zwischen Angst und Haß schwankt. »Verschwinde von meinem Schiff!«
    »Das ist nicht Ihr Schiff«, sagte die Erscheinung. »Es ist so alt wie unsere Welt. Es befuhr die Sandseen schon vor zehntausend Jahren, als die Meere verschwanden und die Docks sich leerten, und nun sind Sie gekommen und haben es uns genommen – gestohlen. Wir müssen mit Ihnen reden. Etwas Wichtiges ist geschehen.«
    »Verschwinde von meinem Schiff!« sagte Sam. Er zog seine Pistole, und das Leder des Halfters quietschte leise. Er zielte sorgfältig. »Spring ab! Ich zähle bis drei…«
    »Nicht!« rief das Mädchen. »Ich will Ihnen doch nichts tun. Auch die anderen nicht. Wir kommen in friedlicher Absicht!«
    »Eins«, sagte Sam.
    »Sam!« protestierte Elma.
    »Hören Sie mich doch an«, sagte das Mädchen.
    »Zwei«, sagte Sam entschlossen und spannte den Hahn.
    »Sam!« schrie Elma auf.
    »Drei«, sagte Sam.
    »Wir wollen doch nur…«, sagte das Mädchen.
    Der Schuß krachte.
    Schnee schmilzt im Sonnenlicht, Kristalle lösen sich in Dunst auf, werden zu einem Nichts. Im Schein des Feuers tanzen Dämpfe und verschwinden. Im Herzen eines Vulkans zerspringen zierliche Kristalle und versinken. Unter dem Aufprall des Geschosses, in der Hitze, inmitten der Explosion, sank sie wie ein weiches Tuch zusammen, zerschmolz wie eine Kristallfigur. Der Sitz neben der Pinne war leer.
    Sam steckte seine Pistole weg und sah seine Frau nicht an.
    »Sam«, sagte sie, nachdem sie eine Minute lang schweigend über den mondhellen Sandsee gerauscht waren, »halt an.«
    Er sah sie an, und sein Gesicht war bleich. »Nein, das tust du nicht! Nach so langer Zeit läßt du mich nicht einfach im Stich.«
    Sie schaute auf seine Hand, die wieder zur Waffe gekrochen war. »Ich trau’s dir zu«, sagte sie bitter. »Du brächtest auch das fertig.«
    Er bewegte ruckartig den Kopf hin und her, während sich seine Hand um die Ruderpinne krampfte. »Elma, das ist Wahnsinn. Wir sind gleich in der Stadt, und alles ist in Ordnung.«
    »Ja«, sagte seine Frau und lehnte sich zurück.
    »Elma, hör mir zu.«
    »Da gibt’s nichts anzuhören, Sam.«
    »Elma!«
    Eine kleine weiße Schachbrettstadt glitt vorüber, und in seiner Verzweiflung und Wut jagte er sechs Geschosse zwischen die kristallenen Türme. Die Stadt ging in einem Schauer uralten Glases und zersplitterten Quarzes unter. Sie zerfiel, als wäre sie aus Seife gemacht. Es gab sie nicht mehr. Er lachte und feuerte noch einmal, und ein letzter Turm, eine letzte Schachfigur fing Feuer, flammte auf und stieg in blauen Bruchstücken zu den Sternen.
    »Ich zeig’s ihnen! Ich zeig’s ihnen allen!«
    »Na los, zeig’s uns, Sam.« Sie lag im Schatten.
    »Und wieder eine Stadt.« Sam lud seine Pistole. »Schau her, wie ich sie fertigmache!«
    Die blauen Phantomschiffe ragten bereits dicht hinter ihnen auf und gewannen ständig an Boden. Er bemerkte sie zuerst nicht. Er nahm zunächst nur ein leises Pfeifen und ein dünnes Klirren und Rascheln wahr, wie wenn Stahl auf Sand reibt – das Geräusch der rasiermesserscharfen Bugspriete der Sandschiffe, die mit flatternden roten und blauen Fahnen den Seegrund teilten. In dem blauen Licht waren die Schiffe dunkelblaue Schemen, darin maskierte Männer mit silbrigen Gesichtern, Männer mit blauen Sternenaugen, Männer mit gespaltenen goldenen Ohren, Männer mit Wangen wie Silberpapier, Männer mit rubinbesetzten Lippen, Männer mit verschränkten Armen, Männer, die ihn verfolgten, marsianische Männer.
    Eins, zwei, drei. Sam zählte. Die marsianischen Schiffe kamen näher.
    »Elma, Elma, ich kann sie nicht

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