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Die Mars-Chroniken

Die Mars-Chroniken

Titel: Die Mars-Chroniken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ray Bradbury
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Keine Vögel. Keine Autos. Nur sein Herzschlag. Poch und Pause und wieder Poch. Sein Gesicht schmerzte, so sehr hatte er es verkniffen. Sanft wehte der Wind, ganz sanft, und spielte mit seinem Mantel.
    »Psst«, flüsterte er. »Hör doch.«
    Er neigte sich langsam im Kreise, wandte den Kopf von einem stummen Haus zum nächsten.
    Sie ruft bestimmt eine Unzahl von Nummern an, dachte er. Sie ist bestimmt eine Frau. Warum? Nur eine Frau würde andauernd telefonieren. Ein Mann täte das nicht. Ein Mann ist unabhängig. Habe ich jemanden angerufen? Nein! Der Gedanke ist mir gar nicht gekommen. Es muß eine Frau sein. Muß, bei Gott!
    Lauschen.
    Irgendwo unter den Sternen, weit entfernt, klingelte ein Telefon.
    Er rannte. Er stockte und lauschte. Das Klingeln, leise. Wieder rannte er einige Schritte. Lauter. Er hastete durch eine Gasse. Noch lauter! Sechs Häuser glitten an ihm vorüber, und noch einmal sechs. Viel lauter! Er fand das Haus, und der Eingang war verschlossen.
    Drinnen klingelte das Telefon.
    »Verdammt!« Er riß am Türknopf.
    Das Telefon schrillte.
    Er schleuderte einen Verandastuhl durch ein Wohnzimmerfenster und sprang hinterher.
    Ehe er die Hand auf das Telefon legen konnte, war es verstummt.
    Da tobte er durch das Haus und zerbrach Spiegel, riß Vorhänge herab und warf den Küchenherd um.
    Erschöpft nahm er schließlich das dünne Buch zur Hand, in dem jedes Telefon auf dem Mars verzeichnet war. Fünfzigtausend Namen.
    Er begann mit der ersten Nummer.
    Amelia Arnes. Er wählte ihre Nummer in Neu-Chicago, hundert Meilen entfernt jenseits des toten Meeres.
    Keine Antwort.
    Nummer zwei wohnte in Neu-New-York, fünftausend Meilen hinter den blauen Bergen.
    Keine Antwort.
    Er versuchte es weiter, drei-, vier-, fünf-, sechs-, sieben-, achtmal; seine Finger zuckten, konnten kaum den Hörer halten.
    Plötzlich ertönte die Stimme einer Frau: »Hallo?«
    Walter brüllte zurück: »Hallo, o Gott, hallo!«
    »Dies ist ein automatischer Telefonbeantworter«, sagte die Frauenstimme. »Miß Helen Arasumian ist nicht zu Hause. Sie können eine Nachricht auf das Band sprechen, damit sie zurückrufen kann, wenn sie nach Hause kommt. Hallo? Dies ist ein automatischer Telefonbeantworter. Miß Helen Arasumian ist nicht zu Hause. Sie können eine Nachricht auf das Band sprechen…«
    Er legte auf.
    Er saß da, und seine Lippen zuckten.
    Dann wählte er noch einmal dieselbe Nummer.
    »Wenn Miß Arasumian nach Hause kommt«, sagte er, »richten Sie ihr aus, sie soll zur Hölle fahren!«
     
    Er rief in Mars Junction, Neu-Boston, Arcadia und Roosevelt City die Fernämter an, in der Annahme, daß es das naheliegendste wäre, von dort aus zu telefonieren versuchen. Darauf setzte er sich in jeder Stadt mit den Rathäusern und anderen öffentlichen Einrichtungen in Verbindung. Er wählte auch die besten Hotels an. Welche Frau wußte sich nicht mit Luxus zu umgeben?
    Plötzlich hielt er inne, klatschte in die Hände und lachte. Aber natürlich! Er zog das Telefonbuch zu Rate und wählte die Nummer des größten Schönheitssalons in Neu-Texas-City. Wenn es einen Ort gab, an dem eine Frau nach Herzenslust herumstöbern und sich Packungen auf das Gesicht legen und unter Haartrocknern sitzen konnte, dann im samtweichen, auserlesenen Dekor eines Schönheitssalons!
    Das Telefon klingelte.
    Am anderen Ende hob jemand ab.
    Eine Frauenstimme sagte: »Hallo?«
    »Wenn das eine Tonbandaufnahme ist«, verkündete Walter Gripp, »komme ich rüber und nehme den ganzen Laden auseinander.«
    »Ich und ein Tonband?«, sagte die Frauenstimme. »Hallo! Oh, hallo, es ist also doch noch jemand am Leben. Wo sind Sie?« Sie stieß einen entzückten Schrei aus.
    Walter verlor beinahe die Fassung. »Sie!«
    Ruckartig stand er auf, seine Augen blitzten. »Himmel, Herrgott, was für ein Glück – wie heißen Sie?«
    »Genevieve Selsor!« Sie brach in Tränen aus. »Oh, bin ich froh, Ihre Stimme zu hören, wer Sie auch sind!«
    »Walter Gripp!«
    »Walter, hallo, Walter!«
    »Hallo, Genevieve.«
    »Walter. Ein schöner Name. Walter, Walter!«
    »Danke.«
    »Walter, wo sind Sie?«
    Ihre Stimme war so nett und süß und angenehm. Er preßte den Hörer ans Ohr, damit sie ihm direkt hineinflüstern konnte. Er fühlte, wie er langsam den Boden unter den Füßen verlor. Seine Wangen brannten.
    »Ich bin in Marlin«, sagte er. »Ich…«
    Tüt-tüt-tüt.
    »Hallo?« fragte er.
    Tüt-tüt-tüt.
    Er drückte mehrmals die Gabel. Nichts.
    Irgendwo hatte der Wind

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