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Die Mars-Chroniken

Die Mars-Chroniken

Titel: Die Mars-Chroniken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ray Bradbury
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erschien in der offenen Tür eines Salons, als er über die Straße rannte. Sie hatte eine offene Packung Pralinen im Arm. Die Finger, die die Schachtel hielten, waren dick und bleich. Sie trat ins Licht, und ihr Gesicht war rund und fett, und ihre Augen waren zwei gewaltige Eier, die jemand in einen Klumpen weißen Brotteig gedrückt hatte. Ihre Beine glichen Baumstämmen, und sie bewegte sich mit linkischem Schurren dahin. Ihr Haar war von einem unbestimmbaren Braun, und ihre Frisur erinnerte an ein Vogelnest. Sie hatte überhaupt keine Lippen und glich diesen Mangel durch einen übergroß aufgemalten, fettigen roten Mund aus, der sich jetzt entzückt öffnete und sofort nervös wieder schloß. Ihre Augenbrauen waren zu dünnen Strichen ausgezupft.
    Walter blieb stehen. Das freudig erwartungsvolle Lächeln auf seinem Gesicht erstarb. Er starrte sie an. Sie ließ die Pralinenpackung auf den Bürgersteig fallen.
    »Sind Sie – Genevieve Selsor?« In seinen Ohren rauschte es.
    »Sind Sie Walter Griff?« sagte sie.
    »Gripp.«
    »Gripp«, verbesserte sie sich.
    »Guten Morgen«, sagte er gepreßt.
    »Guten Morgen.« Sie schüttelte ihm die Hand.
    An ihren Fingern klebte Schokolade.
     
    »So«, sagte Walter Gripp.
    »Was?« fragte Genevieve Selsor.
    »Ich habe ›So‹ gesagt«, sagte Walter.
    »Oh.«
    Es war neun Uhr abends. Sie hatten den Tag bei einem Picknick verbracht, und zum Abendessen hatte er ihr ein Filet Mignon bereitet, das ihr nicht geschmeckt hatte, weil es ihr zu roh war. Als er es noch etwas gedünstet hatte, war es plötzlich zu stark geschmort oder gebraten oder sonstwas. Er lachte und sagte: »Wir sehen uns einen Film an!« Sie war einverstanden und hakte sich mit ihren Schokoladenfingern bei ihm unter. Sie bestand schließlich auf einem fünfzig Jahre alten Film mit Clark Gable. »Ist er nicht großartig?« kicherte sie. »Ist er nicht großartig?« Der Film ging zu Ende. »Spiel ihn noch mal«, befahl sie. »Noch mal?« fragte er. »Noch mal«, sagte sie. Und als er sich wieder setzte, lehnte sie sich an ihn, und ihre Hände gingen auf Wanderschaft. »Du bist zwar nicht ganz das, was ich erwartet habe, aber du bist nett«, sagte sie. »Danke«, sagte er und schluckte. »Oh, dieser Gable«, sagte sie neckend und kniff ihn ins Bein. »Autsch«, sagte er.
    Nach dem Film gingen sie durch die stillen Straßen. Sie warf eine Schaufensterscheibe ein, holte das bunteste Kleid heraus, das sie finden konnte, und zog es an. Dann goß sie sich eine Flasche Parfüm über den Kopf und hatte nun große Ähnlichkeit mit einem regennassen Schäferhund. »Wie alt bist du?« fragte er. »Rate mal.« Tropfnaß führte sie ihn die Straße entlang. »Oh, vielleicht dreißig«, sagte er höflich. »Oh«, meinte sie enttäuscht, »ich bin erst siebenundzwanzig.«
    »Aha«, meinte er nachdenklich.
    »Schon wieder ein Süßigkeitenladen«, sagte sie. »Ehrlich, seit der Explosion hab ich gelebt wie eine Königin. Meine Familie hab ich nie gemocht, waren alles Idioten. Sie sind vor zwei Monaten zur Erde zurückgekehrt. Ich sollte mit der letzten Rakete nachkommen, aber ich bin geblieben; weißt du, warum?«
    »Warum?«
    »Weil alle auf mir herumgehackt haben. Und da bin ich geblieben, wo ich nun den ganzen Tag in Parfüm baden und zehntausend Mixgetränke trinken und Süßigkeiten essen kann, ohne daß die Leute sagen: ›Oh, das hat aber zu viele Kalorien!‹ Na, und da bin ich nun!«
    »Da bist du.« Walter schloß die Augen.
    »Es ist schon spät«, sagte sie und sah ihn an.
    »Ja.«
    »Ich bin müde«, sagte sie.
    »Komisch, ich bin hellwach.«
    »Oh«, sagte sie.
    »Ich könnte die ganze Nacht aufbleiben«, sagte er. »Du, da gibt’s eine gute Platte bei Mike. Ich spiel sie dir vor.«
    »Ich bin müde.« Ihre wissenden Augen sahen strahlend zu ihm auf.
    »Ich bin ganz munter«, sagte er. »Komisch.«
    »Komm, wir gehen in den Schönheitssalon«, sagte sie. »Ich möchte dir etwas zeigen.«
    Sie führte ihn durch die Glastür zu einer großen weißen Schachtel. »Ich hab’s mitgenommen«, sagte sie, »als ich von Texas City abfuhr.« Sie öffnete das rosa Band. »Ich dachte mir, na ja, ich bin doch die einzige Frau auf dem Mars, und du bist der einzige Mann, und da… na ja…« Sie hob den Deckel und klappte mehrere Schichten knisterndes rosa Seidenpapier zur Seite und betastete stolz ihr Mitbringsel. »Da!«
    Walter Gripp starrte sie an.
    »Was ist das?« fragte er und begann zu zittern.
    »Weißt du das nicht,

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