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Die Mars-Chroniken

Die Mars-Chroniken

Titel: Die Mars-Chroniken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ray Bradbury
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vier Gräber mit groben Holzkreuzen und Namen darauf. Tränen stiegen ihm nicht in die Augen; sie waren längst versiegt.
    »Vergebt ihr mir, was ich getan habe?« fragte er die Kreuze. »Ich war so allein. Ihr versteht mich doch, ja?«
    Er kehrte zur Steinhütte zurück, und vor dem Eintreten beschirmte er noch einmal die Augen mit der Hand und sah forschend in den schwarzen Himmel.
    »Man wartet und wartet und schaut immer wieder«, sagte er, »und eines Nachts kommt vielleicht…«
    Eine winzige rote Flamme züngelte am Himmel.
    Er verließ den Lichtkreis der Hütte.
    »…und man schaut ein zweites Mal«, flüsterte er.
    Die winzige rote Flamme war nicht verschwunden.
    »Das war gestern abend noch nicht da«, flüsterte er.
    Er stolperte und fiel hin, rappelte sich wieder auf, rannte hinter die Hütte, drehte das Teleskop herum und richtete es auf den Himmel.
    Nach einem langen, prüfenden Blick erschien er in der niedrigen Hüttentür. Die Frau und die beiden Töchter und der Sohn sahen ihn erstaunt an. Endlich konnte er wieder sprechen.
    »Gute Nachricht«, sagte er. »Ich habe in den Himmel geblickt. Es kommt eine Rakete, die uns alle nach Hause bringt. Sie wird morgen früh hier sein.«
    Er setzte sich, schlug die Hände vors Gesicht und begann leise zu weinen.
    Um drei Uhr in der Nacht steckte er die Ruinen Neu-New-Yorks in Brand.
    Er nahm eine Fackel, zündete sie an, ging in die Plastikstadt und berührte da und dort die Wände mit der Flamme. Die Stadt erblühte in gewaltigen Licht- und Hitzeeruptionen – eine illuminierte Quadratmeile, die auch aus dem All zu sehen sein mußte. Sie würde die Rakete zu Mr. Hathaway und seiner Familie führen.
    Schmerzhaft raste das Herz in seiner Brust, als er zur Hütte zurückkehrte. »Seht!« Er hielt eine staubige Flasche ins Licht. »Ein Wein, den ich extra für heute abend aufgehoben habe. Ich wußte, daß uns eines Tages jemand finden würde! Zur Feier trinken wir ein Glas!«
    Fünf Gläser schenkte er voll.
    »Lang ist es her«, sagte er und schaute feierlich in sein Glas. »Erinnert ihr euch an den Tag, an dem der Krieg ausbrach? Zwanzig Jahre und sieben Monate ist es jetzt her. Und unsere Raketen wurden vom Mars nach Hause beordert. Und du und ich und die Kinder – wir waren gerade in den Bergen mit archäologischen Ausgrabungen beschäftigt; wir versuchten die Methoden der alten marsianischen Chirurgie zu erforschen. Wir jagten unsere Pferde fast zu Tode, um noch mitgenommen zu werden, wißt ihr noch? Trotzdem erreichten wir die Stadt eine Woche zu spät. Amerika war schon vernichtet; die Raketen waren abgeflogen, ohne auf Verstreute zu warten, erinnert ihr euch? Und wißt ihr noch, wie wir dann feststellten, daß wir die einzigen waren, die man hier oben auf dem Mars zurückgelassen hatte? Gott, wie die Jahre vergehen! Ohne euch alle hätte ich nicht ausgehalten. Ohne euch hätte ich mich umgebracht. In eurer Gesellschaft hat sich die Zeit gelohnt. Auf uns.« Er hob sein Glas. »Und auf unser langes gemeinsames Warten.« Er trank.
    Die Frau und die beiden Töchter und der Sohn hoben die Gläser an die Lippen.
    Der Wein rann ihnen über das Kinn, allen vieren.
     
    Am Morgen wehte die Stadt in großen schwarzen Flocken über den Meeresgrund. Das Feuer war erloschen, aber es hatte seinen Zweck erfüllt; der rote Fleck am Himmel wurde größer.
    Aus dem Haus drang frischer brauner Honigkuchenduft. Als Hathaway eintrat, stand seine Frau am Tisch und setzte das heiße Kuchenblech ab. Die beiden Töchter fegten mit Reisigbesen den Boden, und der Sohn polierte das Silber.
    »Ein Riesenfrühstück machen wir für die Besucher!« lachte Hathaway. »Zieht eure besten Sachen an!«
    Er eilte zu dem großen Werkstattschuppen, in dem sich ein Kühlaggregat und eine Stromversorgungsanlage befanden, die er im Laufe der Jahre mit tüchtigen, kleinen, nervösen Fingern repariert und zusammengebastelt hatte, und zahlreiche Uhren, Telefone und Tonbandgeräte. Der Schuppen war voller Dinge, die er gebaut hatte; zum Teil ganz sinnlose Apparate, deren Funktion selbst ihm ein Geheimnis war, als er sie nun betrachtete.
    Aus der Tiefkühltruhe nahm er reifbedeckte Kartons mit Bohnen und Erdbeeren, zwanzig Jahre alt. Lazarus, komm heraus, dachte er und holte auch ein gefrorenes Hühnchen heraus.
    Mannigfaltige köstliche Küchendüfte hingen in der Luft, als die Rakete landete.
    Hathaway rannte wie ein Junge den Hügel hinab. Einmal hielt er inne, als ein unangenehmer Schmerz durch

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