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Die Mars-Chroniken

Die Mars-Chroniken

Titel: Die Mars-Chroniken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ray Bradbury
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ob sie zehntausend Einwohner hätte; Flugzeug- und Autolärm und Stimmengewirr. Dann saß er da und zündete sich eine Zigarre an und unterhielt sich mit uns, und die Geräusche der Stadt drangen herauf, und ab und zu klingelte das Telefon, und eine Stimme auf Tonband stellte Mr. Hathaway wissenschaftliche und medizinische Fragen, und er beantwortete sie. Und das klingelnde Telefon und wir und die Geräusche der Stadt und seine Zigarre – all das machte Mr. Hathaway sehr glücklich. Nur eins konnte er uns nicht vermitteln«, sagte sie. »Und das war das Altwerden. Er selbst wurde von Tag zu Tag älter, während wir uns nicht veränderten. Ich nehme an, es hat ihm nichts ausgemacht. Er wollte es wohl so.«
    »Wir werden ihn unten auf dem Friedhof begraben, wo die anderen vier Kreuze sind. Ich glaube, daß das in seinem Sinne ist.«
    Sie legte ihm sanft die Hand auf den Arm. »Ganz bestimmt sogar.«
    Befehle wurden erteilt. Die Familie folgte der kleinen Prozession den Hügel hinab. Zwei Männer trugen Hathaway auf einer zugedeckten Bahre, trugen ihn vorbei an der Steinhütte und dem Schuppen, in dem Hathaway vor vielen Jahren mit seiner Arbeit begonnen hatte. Wilder blieb in der Tür zur Werkstatt stehen.
    Wie ist einem Mann zumute, fragte er sich, der mit seiner Frau und drei Kindern auf einem Planeten lebt und sie plötzlich verliert, so daß er mit dem Wind und der Stille allein ist? Was tut er? Er begräbt sie unter Kreuzen und geht dann in seine Werkstatt, nimmt all seine Geisteskräfte zusammen und sein Erinnerungsvermögen, seine handwerkliche Geschicklichkeit und sein Genie, und er beginnt damit, all das, was einmal Frau und Sohn und Tochter gewesen ist, in einem anderen Material zu formen. Mit einer gesamten amerikanischen Stadt in Reichweite, die die benötigten Teile liefern konnte, war einem brillanten Mann wie ihm nichts unmöglich.
    Das Geräusch der Schritte wurde im Sand erstickt. Als sie den Friedhof erreichten, waren zwei Männer schon dabei, das Grab zu schaufeln.
    Am späten Nachmittag kehrten sie zur Rakete zurück.
    Williamson deutete mit einer Kopfbewegung zur Steinhütte hinüber. »Was machen wir mit denen?«
    »Ich weiß nicht«, sagte der Kapitän.
    »Wollen Sie sie abschalten?«
    »Abschalten?« Der Kapitän wandte sich überrascht um. »Darauf wäre ich gar nicht gekommen.«
    »Sie wollen sie doch nicht etwa mitnehmen?«
    »Nein, das wäre sinnlos.«
    »Sie wollen sie also hier zurücklassen, einfach so – so wie sie sind?«
    Der Kapitän reichte Williamson seine Pistole. »Wenn Sie eine andere Lösung durchsetzen können, sind Sie besser als ich.«
    Fünf Minuten später kehrte Williamson zurück; er schwitzte. »Hier, nehmen Sie Ihre Pistole. Ich weiß jetzt, was Sie meinen. Als ich mit der Waffe in der Hand die Hütte betrat, lächelte mich eine der Töchter an und die anderen ebenfalls. Die Frau bot mir eine Tasse Tee an. Gott, das wäre wirklich Mord!«
    Wilder nickte. »So etwas Vorzügliches wird es wahrscheinlich nicht noch einmal geben. Sie sind stabil gebaut und halten bestimmt zehn, fünfzig, zweihundert Jahre. Ja, sie haben ein Recht zu – zu leben wie Sie oder ich oder sonst jemand hier im Schiff.« Er klopfte seine Pfeife aus. »Na ja, gehen Sie an Bord. Wir starten. Mit der Stadt ist es aus, wir werden sie nicht mehr bewohnen können.«
    Der Abend war nahe. Ein kalter Wind sprang auf. Die Männer gingen an Bord, während der Kapitän zögerte. Williamson sagte: »Sie wollen doch nicht etwa hingehen und – Lebewohl sagen?«
    Der Kapitän blickte Williamson düster an: »Das geht Sie gar nichts an.«
    Wilder ging langsam durch den stärker werdenden Wind auf die Hütte zu. Die Männer sahen seinen Schatten in der Tür verweilen. Sie sahen auch den Schatten einer Frau. Sie sahen, wie der Kapitän ihr die Hand schüttelte.
    Sekunden später kam er auf die Rakete zugerannt.
     
    In der Nacht, wenn der Wind über den toten Seegrund und den sechseckigen Friedhof streicht, über vier alte Kreuze und ein neues, dann brennt Licht in der niedrigen Steinhütte, und im Innern, während der Wind dröhnt und der Staub aufgewirbelt wird und die kalten Sterne brennen, sitzen vier Gestalten – eine Frau, zwei Töchter und ein Sohn – vor dem Feuer, um das sie sich völlig grundlos kümmern, und sie unterhalten sich und lachen.
    Abend für Abend, Jahr für Jahr, völlig sinnlos, kommt die Frau aus dem Haus und schaut mit erhobenen Händen eine Zeitlang zum Himmel auf und betrachtet die

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