Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Mars-Chroniken

Die Mars-Chroniken

Titel: Die Mars-Chroniken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ray Bradbury
Vom Netzwerk:
auf das Murmeln der Stimmen, die manchmal plötzlich lauter zu werden schienen und sich wieder abschwächten, und von Zeit zu Zeit sah er Wilder bekümmert an, dem der Honigkuchen nicht zu schmecken schien.
    Williamson kehrte zurück. Er setzte sich und aß ein paar Bissen, bis sich der Kapitän flüsternd an ihn wandte: »Na?«
    »Ich hab’s gefunden, Sir.«
    »Und?«
    Williamsons Gesicht war blaß. Seine Augen waren starr auf die lachenden Menschen gerichtet. Die Töchter lächelten feierlich, und der Sohn erzählte gerade einen Witz. Williamson sagte: »Ich bin also zu dem Friedhof gegangen.«
    »Und da sind vier Kreuze?«
    »Ja, da sind vier Kreuze, Sir. Die Namen stehen drauf. Um sicherzugehen, hab ich sie aufgeschrieben.« Er las sie von einem Stück Papier ab: »Alice, Marguerite, Susan, John Hathaway, gestorben im Juli 2007 an einem unbekannten Virus.«
    »Danke, Williamson.« Wilder schloß die Augen.
    »Neunzehn Jahre ist das her, Sir.« Williamsons Hand zitterte.
    »Ja.«
    »Wer sind dann die da drüben?«
    »Ich weiß es nicht.«
    »Was wollen Sie tun?«
    »Das weiß ich auch nicht.«
    »Sagen wir’s den anderen?«
    »Später. Essen Sie weiter, als ob nichts geschehen wäre.«
    »Ich bin aber nicht mehr hungrig, Sir.«
    Zum Abschluß des Essens gab es Wein aus den Beständen der Rakete. Hathaway erhob sich. »Ein Toast auf Sie alle – es tut gut, wieder unter Freunden zu sein. Und auf meine Frau und meine Kinder, ohne die ich nicht hätte überleben können. Nur ihrer Freundlichkeit und Fürsorge ist es zu verdanken, daß ich weiterleben, daß ich auf Ihr Kommen warten konnte.« Er hob das Weinglas und trank seiner Familie zu, die seinen Blick unsicher erwiderte und schließlich zu Boden sah, als alle tranken.
    Hathaway leerte sein Glas. Er gab keinen Laut von sich, als er plötzlich nach vorn über den Tisch fiel und zu Boden stürzte. Mehrere Männer eilten sofort herbei und legten ihn auf den Rücken. Der Arzt beugte sich über ihn und lauschte. Wilder berührte den Arzt an der Schulter. Der Arzt schaute auf und schüttelte den Kopf. Der Kapitän kniete hin und nahm die Hand des alten Mannes. »Wilder?« Hathaways Stimme war kaum zu verstehen. »Ich hab allen die Stimmung verdorben.«
    »Unsinn.«
    »Sagen Sie Alice und den Kindern für mich Lebewohl.«
    »Einen Moment, ich rufe sie.«
    »Nein, nicht!« sagte Hathaway schweratmend. »Sie würden es nicht verstehen. Ich möchte auch nicht, daß sie es verstehen. Nicht!«
    Wilder rührte sich nicht von der Stelle.
    Hathaway war tot.
    Wilder verharrte sehr lange. Dann stand er auf und verließ die Gruppe, die starr und stumm um Hathaway herumstand. Er ging zu Alice Hathaway, blickte ihr in die Augen und fragte: »Wissen Sie, was eben geschehen ist?«
    »Etwas mit meinem Mann?«
    »Er ist gestorben; sein Herz«, sagte Wilder und ließ ihren Blick nicht los.
    »Es tut mir leid«, sagte sie.
    »Wie ist Ihnen zumute?« fragte er.
    »Er wollte nicht, daß wir uns grämen. Er hat gesagt, daß es eines Tages passieren würde und daß wir dann nicht weinen sollten. Er hat es uns auch gar nicht beigebracht. Er wollte nicht, daß wir weinen konnten. Er sagte, das Schlimmste, was einem Menschen widerfahren könnte, wären Einsamkeit und Traurigkeit und Tränen. Also sollten wir nicht wissen, was Weinen ist oder Traurigsein.«
    Wilder betrachtete ihre Hände, die weichen, wannen Hände und die gepflegten Nägel und ihre schmalen Handgelenke. Er betrachtete ihren schlanken, glatten weißen Hals und sah ihr in die intelligenten Augen. Schließlich sagte er: »Hathaway hat mit Ihnen und den Kindern etwas Großartiges geschaffen.«
    »Dieses Urteil hätte ihm sicher große Freude gemacht. Er war so stolz auf uns. Mit der Zeit vergaß er sogar, daß er uns gebaut hatte. Und schließlich liebte er uns und sah uns als seine wirkliche Familie an. Und in gewisser Hinsicht sind wir das ja auch.«
    »Sie haben ihm viel Trost gespendet.«
    »Ja, jahrelang haben wir dagesessen und uns unterhalten. Er redete so gern. Er mochte die Steinhütte und das offene Feuer. Wir hätten in einem ganz normalen Haus in der Stadt wohnen können, aber es gefiel ihm hier oben, wo er sich je nach Laune primitiv oder modern geben konnte. Er erzählte mir alles über sein Laboratorium und die Dinge, die er darin tat.
    Überall in der toten amerikanischen Stadt da unten brachte er Lautsprecher an. Wenn er auf einen Knopf drückte, wurde die Stadt erleuchtet, und es wurden Geräusche erzeugt, als

Weitere Kostenlose Bücher