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Die Mars-Chroniken

Die Mars-Chroniken

Titel: Die Mars-Chroniken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ray Bradbury
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still im Äther. Wahrscheinlich wird es auch so bleiben.«
    »Für wie lange?« fragte Robert.
    »Vielleicht – vielleicht werden deine Urenkel oder Ururenkel wieder Radio hören«, sagte Paps. Er saß da, und die Kinder ließen sich von seiner Furcht und Resignation und Ergebenheit anstecken.
    Schließlich lenkte er das Boot wieder auf den Kanal hinaus, und sie setzten ihren Weg fort.
    Es wurde spät. Schon stand die Sonne tief am Himmel, und eine Reihe toter Städte erstreckte sich vor ihnen.
    Paps wandte sich behutsam an seine Söhne. Früher war er ihnen in seiner energischen Art oft sehr fern gewesen, aber heute berührte er sie zart mit seinen Worten, sie spürten es deutlich.
    »Mike, such dir eine Stadt aus.«
    »Was, Paps?«
    »Such dir eine Stadt aus, mein Sohn. Irgendeine von den Städten, an denen wir vorbeikommen.«
    »Gut«, sagte Michael. »Aber wie mach ich das?«
    »Du mußt die nehmen, die dir am besten gefällt. Robert und Tim, ihr auch. Sucht euch die Stadt aus, die euch am besten gefällt.«
    »Ich möchte eine Stadt mit Marsianern drin«, sagte Michael.
    »Die bekommst du auch«, sagte Paps. »Ich versprech’s dir.« Seine Lippen formten Worte für die Kinder, seine Augen sprachen zu Mama.
    In den nächsten zwanzig Minuten kamen sie an sechs Städten vorüber. Paps kam nicht wieder auf die Explosion zu sprechen; es schien ihm viel mehr daran zu liegen, sich mit seinen Söhnen zu vergnügen und sie bei Laune zu halten.
    Michael gefiel bereits die erste Stadt, die vorüberzog, aber alle sprachen sich dagegen aus, weil sie schnellen Entschlüssen mißtrauten. Die zweite Stadt fand keinen Anklang. Sie war eine irdische Siedlung aus Holz und vermoderte bereits. Timothy mochte die dritte Stadt, weil sie groß war. Die vierte und fünfte Stadt waren zu klein, während die sechste den Beifall aller fand; selbst Mutter war begeistert und schloß sich den Ausrufen Ach, wie schön! und Seht doch mal an.
    Fünfzig oder sechzig riesige Gebäude standen noch, die Straßen waren schmutzig, aber gepflastert, und auf den Plätzen pulsierten sogar einige Zentrifugalfontänen. Sie waren das einzige Lebenszeichen – Wasser, das im Abendlicht tanzte.
    »Das ist die Stadt«, sagten alle.
    Paps steuerte das Boot an einen Kai und sprang an Land.
    »Da wären wir. Die Stadt gehört uns. Hier leben wir von nun an.«
    »Von nun an?« fragte Michael ungläubig. Er stand auf und sah sich um und schaute blinzelnd in die Richtung, aus der sie gekommen waren und wo die Rakete gestanden hatte. »Was ist mit der Rakete? Was ist mit Minnesota?«
    »Hier«, sagte Paps.
    Er nahm das kleine Radio und drückte es an Michaels Kopf. »Hör mal.«
    Michael lauschte.
    »Nichts«, sagte er.
    »Eben. Nichts. Überhaupt nichts mehr. Kein Minneapolis, keine Raketen, keine Erde.«
    Michael überdachte die schlimme Offenbarung und begann trocken zu schluchzen.
    »Moment«, sagte Paps sofort. »Dafür bekommst du aber eine ganze Menge zum Ausgleich, Mike!«
    »Was?« Michael hielt neugierig die Tränen zurück, bereit, sofort weiterzumachen, wenn Paps neue Offenbarung so beunruhigend ausfallen sollte wie die erste.
    »Ich schenke dir diese Stadt. Sie gehört dir.«
    »Mir?«
    »Dir, Robert und Timothy, euch ganz allein.«
    Timothy sprang aus dem Boot. »Schaut her, Leute, das alles ist für uns! Das alles!« Er machte beim Spiel seines Vaters mit; er spielte es in großem Stil und ganz vorzüglich. Wenn alles vorüber und wieder in Ordnung war, dann konnte auch er sich zehn Minuten fortstehlen und weinen. Aber im Augenblick war alles noch ein Spiel, war es noch ein Familienausflug, und die anderen Kinder mußten bei der Stange gehalten werden.
    Mike sprang zusammen mit Robert an Land. Sie halfen Mama beim Austeigen.
    »Paßt auf euer Schwesterchen auf«, sagte Paps, aber sie wußten nicht, was er meinte.
    Sie eilten in die große Stadt aus rosafarbenen Steinen, und sie unterhielten sich nur im Flüsterton, denn tote Städte regen stets zum Flüstern an oder zum Betrachten eines Sonnenuntergangs.
    »In etwa fünf Tagen«, sagte Paps leise, »fahre ich zu der Stelle zurück, wo unsere Rakete gestanden hat, hole die Lebensmittel aus dem Versteck in den Ruinen und bringe sie her. Anschließend suche ich nach Bert Edwards und seiner Frau und seinen Töchtern.«
    »Töchter?« fragte Timothy. »Wie viele?«
    »Vier.«
    »Das gibt mal Schwierigkeiten«, sagte Mama und nickte langsam.
    »Mädchen?« Michael machte ein Gesicht wie eine uralte

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