Die Maschen des Schicksals (German Edition)
Retriever an mir vorbeischoss, die Leine schleifte hinter ihm her. Leider war ich nicht schnell und geistesgegenwärtig genug, um rechtzeitig danach zu greifen. Da würde sicher jemand über seinen entlaufenen Hund ziemlich verärgert sein. Im ersten Moment dachte ich, es wäre Chase, Codys Hund, aber das konnte unmöglich sein. Chase war nicht so groß. Aber kurz darauf hörte ich Codys Stimme, ich hatte mich also doch nicht geirrt.
„Chase! Chase! Komm sofort zurück!“
Ich wandte mich um und blickte über die Schulter. Cody kam schnell näher. Als er mich im Vorbeilaufen erkannte, blieb er abrupt stehen, sah zu mir, dann nach vorn zum Hund und wieder zurück.
„Lydia!“, rief er schließlich und rannte mit ausgebreiteten Armen auf mich zu.
Ich fing ihn auf und umarmte ihn fest.
„Ich muss Chase einfangen“, sagte er mit aufgeregtem Blick.
„Lauf schnell.“
„Geh nicht weg, nein?“, bat er mich, schon halb im Rennen.
„Nein“, versprach ich ihm, obwohl ich mir trotz meines Vorsatzes nicht sicher war, ob ich es schaffte, Brad und Janice gegenüberzutreten.
Janice würde mich wahrscheinlich voller Schadenfreude begrüßen. Ich hatte nicht lange gebraucht, um zu bemerken, dass sie sehr egoistisch und nicht gerade erpicht darauf war, ihre Mutterrolle anzunehmen. Wenn ich sie mit Brad zusammen träfe, würde sie mir sicher nur zu gern zeigen, dass ihr Mann immer nur sie geliebt und nur darauf gewartet hatte, zu ihr zurückzukehren. Was offenbar der Wahrheit entsprach, denn Janice hatte nur einmal mit den Fingern schnipsen müssen, und Brad stand wieder zu ihrer Verfügung.
Ich hasste mich selbst dafür, so etwas Schlechtes zu denken. Am liebsten wäre ich geflüchtet und zum Parkplatz zurückgekehrt, aber ich wollte mein Versprechen Cody gegenüber einhalten.
Bevor ich mich seelisch auf dieses Zusammentreffen hätte vorbereiten können, hörte ich Brad nach seinem Sohn rufen. „Cody!“ Er schien nicht allzu begeistert, ihm hinterherjagen zu müssen.
Ich blickte wieder über die Schulter zurück und war überrascht – und froh – zu sehen, dass er allein war. Janice war nirgends in Sicht. Um Cody einzuholen, joggte Brad erst an mir vorbei, den Blick nach vorn gerichtet, bevor er sich umdrehte. Genauso wie Cody blieb er sofort stehen, hin- und hergerissen, was er nun tun sollte, dann kam er auf mich zu. Allerdings hielt er die Arme nicht ausgebreitet, als warte er auf eine Umarmung.
„Lydia“, sagte er atemlos wie nach einem Marathonlauf.
„Ich nehme an, du suchst nach Cody und Chase.“ Höfliche Konversation war alles, was ich zustande brachte.
„Was machst du …“
„Hier?“, beendete ich den Satz für ihn. „Spazieren gehen“, antwortete ich schnell.
Er wirkte perplex.
„Cody dürfte ungefähr drei Minuten Vorsprung haben, und Chase müsste etwa eine halbe Minute vor ihm sein“, sagte ich und deutete den Weg entlang. Er musste nicht seine Zeit vergeuden und mit mir plaudern, wenn er doch eigentlich seinen Sohn und den Hund einfangen wollte.
Brad kam näher und sah mich an. Die Art, wie er mich musterte, machte mich nervös. Ich blickte zur Seite und wünschte fast, Janice würde sich beeilen, sodass wir die ganze hässliche Szene hinter uns bringen könnten. „Chase ist ihm weggelaufen“, erklärte er, als hätte ich das nicht schon längst bemerkt.
„Er ist ganz schön gewachsen“, murmelte ich.
„Chase oder Cody?“
„Beide.“ Ich beschleunigte mein Tempo, und er lief neben mir auf dem schmalen Pfad.
Er nickte. „Cody ist in diesem Sommer über zwei Zentimeter größer geworden. Seine Jeans haben alle Hochwasser. Als ich mit ihm in der Stadt war, um Schulkleidung zu kaufen, da …“ Plötzlich verstummte er.
Chase kam auf mich zugesprungen, Cody dicht hinter ihm, die Leine des Retrievers fest in den Händen.
„Lydia!“, rief der Junge, seine Stimme überschlug sich fast vor Aufregung. „Ich hatte schon Angst, du wärst gegangen.“
„Das hätte ich doch nicht gemacht.“
„Es wäre schön, wenn das niemand mehr machen würde.“ Cody rannte zu mir und legte mir beide Arme um die Taille. Brad hatte ihm die Leine abgenommen. Der Hund gehorchte ihm viel besser als dem Kleinen. Chase saß jetzt allerdings ruhig und mit heraushängender Zunge da.
„Wo ist deine Mutter?“, fragte ich, um nicht überrascht zu werden. Wenn Janice jetzt auftauchte, forderte sie womöglich eine Erklärung.
Cody zuckte die Schultern. „Du kennst doch Mom.“
Das tat ich
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