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Die Masken der Niedertracht

Die Masken der Niedertracht

Titel: Die Masken der Niedertracht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie-France Hirigoyen
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aufhören, sie anzugreifen, wenn erst die materiellen Fragen geregelt seien. Aber das war ein Irrtum, er machte weiter.
    Im Briefwechsel, der die Kinder betrifft, findet sie Anspielungen, die ihre Redlichkeit in Zweifel ziehen. Am Anfang rechtfertigt sie sich, erklärt, alles sei von den Anwälten ausgehandelt worden und notariell ausgefertigt. Dann begreift sie, daß das alles nichts nützt, daß sie sich für ihn irgendeiner Sache schuldig gemacht haben muß. Eines Tages sagt eines ihrer Kinder zu ihr: «Papa erzählt aller Welt, daß Du ihm alles genommen hast. Vielleicht ist das wahr. Was beweist uns, daß Du nicht unehrlich bist?»
     
    In diesem Fall aus der Praxis kann man sehen, daß Paul nicht in der Lage ist, die Verantwortung für die Trennung zu übernehmen. Er richtet es so ein, daß Anna die Initiative ergreift, daß sie ihn «verjagt» und so für das Scheitern der Paarbeziehung verantwortlich ist. Auf alle Fälle ist sie an allem schuld, sie ist der Sündenbock, der es Paul erspart, sich in Frage zu stellen. Anna hätte heftig reagieren können auf diesen Verrat. Dann aber wäre sie als gewalttätig bezeichnet worden. Also gibt sie nach und wird als verrückt angesehen, als depressiv. Auf alle Fälle ist sie schuldig. Weil sie sich nun einmal nicht schuldig macht durch übertriebene Reaktionen, bleiben nur Verdächtigungen und Verleumdungen, um sie kleinzukriegen.
    Man muß Anna dazu bringen, allmählich zu erkennen, daß sie – was auch immer sie tut – stets ein Ziel des Hasses für Paul bleiben wird, zu erkennen, daß sie nichts tun kann, um dieses Verhältnis zu ändern; sie muß ihre Ohnmacht erkennen. Folglich genügt es, wenn sie ein hinreichend gutes Selbstbild gewinnt, damit Pauls Aggressionen ihre Identität nicht mehr in Frage stellen können. Wenn sie aufhört, Angst vor ihrem Aggressor zu haben, scheidet sie aus dem Spiel aus und kann möglicherweise die Aggression entschärfen.
    Bei Paul spielt sich alles so ab, als müsse er, um jemanden lieben zu können, jemand anderen hassen. Bei jedem von uns gibt es einen zerstörerischen Trieb. Eines der Mittel, um sich von diesem inneren Todestrieb zu befreien, besteht darin, ihn nach außen auf jemand anderen zu projizieren. Gewisse Personen betreiben so eine Aufspaltung in «Gute» und «Böse». Es sieht nicht gut aus, zum Lager der Bösen zu gehören.
    Um ein neues Liebesobjekt idealisieren zu können und die Liebesbeziehung aufrecht zu erhalten, muß ein Perverser alles, was schlecht ist, auf den vorigen Partner projizieren, der zum Sündenbock geworden ist. Alles, was einer neuen Liebesbeziehung hinderlich ist, muß vernichtet werden wie ein störender Gegenstand. So muß es, damit es Liebe geben kann, irgendwo Haß geben. Die neue Liebesbeziehung entwickelt sich auf dem Fundament des Hasses gegen den früheren Partner.
    Bei Trennungen ist dieser Vorgang nicht selten, aber meistens verfliegt der Haß nach und nach, und zwar in gleichem Maß wie die Idealisierung des neuen Partners sich abschwächt. Doch Paul, der ein stark idealisiertes Bild von der Paarbeziehung und der Familie hat, verstärkt diesen Vorgang in der Absicht, seine neue Familie zu schützen. Sheila spürt, bewußt oder unbewußt, daß dieser Haß ihre Beziehung mit Paul schützt, und tut nichts, um ihm ein Ende zu setzen. Möglicherweise aktiviert sie ganz bewußt diesen Schutzmechanismus.
    Anna glaubt, aus einer Art natürlicher Naivität heraus, daß verliebt sein und Liebe genüge, um glücklich, großzügig, «besser» zu machen. Sie begreift folglich nicht, daß Paul anderweitig lieben kann. Wenn Paul sie derart zurückweist, dann deshalb, so glaubt sie, weil sie nicht «gut» genug ist, das heißt: in Übereinstimmung mit dem, was er erwartet. Doch bei den Perversen muß die Liebe gespalten sein und umgeben von Haß.
     
     
    Die Trennung
     
    Die perversen Methoden sind gang und gäbe bei Scheidungen oder Trennungen. Es handelt sich in diesen Fällen um ein defensives Verhalten, das man nicht ohne weiteres als pathologisch betrachten kann. Erst die ständige Wiederholung und die Einseitigkeit führen zu der zerstörenden Wirkung.
    Bei Trennungen werden die perversen Anwandlungen, die bis dahin unter der Oberfläche lagen, deutlicher, die heimtückische Gewalt bricht aus; denn der narzißtische Perverse erkennt, daß seine Beute ihm entgleitet. Die Trennung unterbricht nicht die Gewalt; sie setzt sich fort durch die spärlichen Verbindungen, die noch bestehen

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