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Die Masken der Niedertracht

Die Masken der Niedertracht

Titel: Die Masken der Niedertracht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie-France Hirigoyen
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Gesprächsversuch.
    Nun faßt sie den Entschluß, sich von Paul zu trennen.
    «Wenn ich recht verstehe, setzt Du mich ohne einen Pfennig vor die Tür!»
    «Ich setze Dich nicht vor die Tür, ich sage, daß ich diese Situation nicht mehr ertragen kann. Du bist nicht ohne einen Pfennig, Du arbeitest wie ich, und wenn wir die Aufteilung unserer Habe vornehmen, bekommst Du die Hälfte.»
    «Wohin soll ich gehen? Ich hab’s ja immer gesagt: Du bist boshaft! Wegen dir werde ich gezwungen sein, in einem Loch zu hausen!»
    Anna redet sich Schuldgefühle ein und sagt sich, daß Paul so heftig ist, weil er darunter leidet, sich von seinen Kindern zu trennen.
    Nach der Trennung trifft Anna die Kinder bei der Rückkehr vom ersten Wochenende mit dem Vater auf der Straße. Sie erzählen, daß sie einen schönen Tag mit Sheila, der Teilhaberin ihres Vaters, verbracht hätten. In diesem Augenblick bemerkt sie ein triumphierendes Lächeln auf Pauls Gesicht, das sie nicht gleich versteht.
    Zu Hause wollen die Kinder ihr erzählen, wie verliebt Papa ist. Den ganzen Tag habe er Sheila immer wieder auf den Mund geküßt und ihr die Brüste und den Hintern gestreichelt. Weil er nicht den Mut aufbringt, Anna offen zu erklären, daß er eine Freundin hat, fährt er fort, ihr auf mittelbare Weise Nachrichten zukommen zu lassen, indem er sich der Kinder bedient. Weil er ihnen etwas von seiner Vertrautheit mit Sheila vorgeführt hat, weiß er, daß er Annas Eifersucht wecken wird, aber er wird weit weg sein und keine Vorwürfe zu fürchten haben, die Anna ihm nun mit Recht machen kann. Er rückt die Kinder in den Vordergrund. Sie sollen die Trauer oder den Groll ihrer Mutter auffangen. Paul zeigt keinerlei Respekt, weder gegenüber der Mutter noch gegenüber den Kindern.
    Anna verliert den Halt. Je mehr sie sich abmüht, um so tiefer versinkt sie. Sie schwankt zwischen Angst und Wut. Da sie nichts tun und nichts sagen kann, fürchtet sie, irgendeine Dummheit anzustellen. Das Ausmaß ihres Schmerzes ist so groß, daß sie nicht mehr kämpft; sie läßt sich treiben, überwältigen.
    Freunden und seiner Familie teilt Paul mit, daß Anna ihn hinausgeworfen habe und daß die Lage in materieller und finanzieller Hinsicht schwierig für ihn sei. Anna weist diese Rolle der Bösen, die er ihr zuweisen möchte, von sich und sucht sich zu rechtfertigen. Dabei greift sie auf eine Methode zurück, die schon nicht funktioniert hat, als sie noch zusammen waren: ihm zu schreiben und ihm zu erklären, was sie empfindet. Weil sie zuviel Angst hat, Paul direkt anzugreifen, schiebt sie seiner Geliebten die Schuld zu, dieser Sheila, die die Gelegenheit genutzt habe, einen wehrlosen Mann, der in einer Ehekrise steckte, zu verführen.
    Mit dieser Deutung geht sie Paul in die Falle. Er versucht nach wie vor, sich fernzuhalten von Wut und Haß. Er weicht aus und stellt die beiden Rivalinnen einander gegenüber, anstatt die Verantwortung für die Lage auf sich zu nehmen. Anna bleibt immer noch fügsam und beschirmend und bietet Paul nicht die Stirn.
    Ein einziges Mal wagt sie es, ihn unmittelbar anzugreifen. Sie geht zu ihm, läßt sich nicht abwimmeln und sagt alles, was zu sagen sie nie Gelegenheit hatte. Das ist ihr einziger wirklicher Ehekrach, die einzige Konfrontation mit Paul.
    «Du bist verrückt, Anna, mit Verrückten redet man nicht!» Als Paul sie mit Gewalt hinauswerfen will, ohrfeigt sie ihn und rennt weinend davon. Mit dieser Szene hat sie Paul einen Trumpf in die Hand gespielt. Sie erhält einen Verweis von seinem Rechtsanwalt. Darauf verkündet Paul überall, Anna sei verrückt und gewalttätig. Pauls Mutter macht ihr Vorwürfe: «Meine kleine Anna, Sie müssen sich beruhigen, Ihr Benehmen ist unstatthaft!»
    Annas und Pauls Rechtsanwälte verhandeln, um die Aufteilung der gemeinsamen Gegenstände abzuwickeln. Anna wählt sich einen Anwalt, von dem sie weiß, daß er nicht polemisch ist, und dem bewußt ist, daß man vor allem Paul besänftigen muß, damit es nicht ein endloses Verfahren wird. In ihrem Wunsch, sich versöhnlich zu zeigen, diskutiert sie nicht lange, erscheint dadurch aber allmächtig, folglich noch bedrohlicher.
    Nun, da man übereingekommen war, daß eine Bestandsaufnahme gemacht werden solle, erfährt Anna ganz zufällig, kurz vor den Ferien, daß Paul das Landhaus ausgeräumt hat. Er hat lediglich einige Möbel zurückgelassen, die Annas Familie gehören, und die Kinderbetten. Sie hält wieder still, da sie denkt, Paul werde

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