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Die Masken der Wahrheit

Die Masken der Wahrheit

Titel: Die Masken der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Unsworth
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edelsteinbesetzten Nadel zusammengehalten wurde. »Nun«, sagte er, »einen Priester, der auch Schauspieler ist, den gibt’s gar nicht so selten, zumal unter den Geistlichen, die ihren Weg machen, nicht wahr, Thomas?«
       »Ja, Euer Ehren.«
       »Einen Schauspieler, der auch Priester ist, den gibt’s seltener, das kann ich versichern. Das ist mein Schreiber, und ein vielversprechender Anwalt obdrein. Wie heißt Ihr?«
       Ich nannte ihm meinen Namen, glaube aber nicht, daß er ihn sich einprägte, jedenfalls nicht zu diesem Zeitpunkt. Während ich sprach, musterte er mich eingehender, und sein Gesichtsausdruck veränderte sich. »Stell einen Stuhl für ihn hin«, sagte der Richter. »Hier, am Feuer. Gib ihm ein Glas von dem Rotwein, den wir mitgebracht haben.«
       Ich glaube, daß er mich, bei Gott, davor bewahrte, in der plötzlichen Wärme und Helligkeit dieses Zimmers ohnmächtig zu werden.
       »So einen Wein werdet Ihr an einem Ort wie diesem nicht bekommen «, sagte er und beobachtete mich beim Trinken. »Ich habe das Stück gesehen, hier, von meinem Fenster aus. Es war eine sehr gute Vorstellung – weit über dem Gewohnten. Euer Hauptdarsteller ist ein Mann mit großen Gaben.«
       »Es wäre besser für uns gewesen, er wär’s nicht«, sagte ich.
       »Tatsächlich?« Der Richter dachte für einige Augenblicke nach, zum Feuer gewandt. Er besaß ein volles Gesicht mit dicken, herabhängenden Hautfalten, so, als hätte sich zuviel Fleisch auf den Knochen gesammelt, doch seine Stirn war hoch und sein Mund fest. Die Augen, die er nun wieder auf mich richtete, wirkten kalt und abschätzend – aber auch, wie mir schien, irgendwie traurig, als würde sich dahinter ein Wissen verbergen, auf das er gern verzichtet hätte. »Was führt Euch hierher?« fragte er und winkte seinem Schreiber, mir das Glas nachzufüllen.
       Ich erzählte ihm alles, was geschehen war, wobei ich versuchte, die Reihenfolge einzuhalten, in der die Ereignisse sich abgespielt hatten, was in meinem erschöpften Zustand nicht einfach war; doch es wäre ohnehin nicht einfach gewesen, egal in welchem Zustand ich mich befunden hätte, da so vieles auf Zufällen und Mutmaßungen beruhte.
       Ich erzählte ihm, wie Brendans Tod mich in die Theatertruppe und dann die Theatertruppe in die Stadt geführt hatte. Ich berichtete ihm von unserem Mißerfolg mit dem Stück von Adam und der dringenden Notwendigkeit, zu Geld zu kommen, damit wir unseren Weg nach Durham fortsetzen konnten. Ich erzählte ihm von Martins Einfall, aus der Ermordung des Thomas Wells ein Schauspiel zu machen, und daß dieses Stück gleichsam der Stadt gehörte.
       »Zuerst, als wir mit dem Stück anfingen, hatten wir keine Zweifel an der Schuld des Mädchens«, sagte ich. »Es gab ja auch keinen Grund, etwas anderes anzunehmen. Sie hatte vor Gericht gestanden und war für die Tat verurteilt worden. Doch je mehr wir herausfanden, desto schwerer war’s, an dieser Meinung festzuhalten. Und das lag nicht nur an den Erkenntnissen, an die wir durch Befragungen gelangten.« Ich stockte, weil das, was ich ihm nun sagen mußte, am wenigsten glaubhaft erschien. Seine Augen ruhten mit unverändertem Ausdruck auf mir, kalt und aufmerksam, jedoch nicht unfreundlich. »Wir haben’s durch das Stück gelernt«, sagte ich. »Wir haben es durch die Rollen gelernt, die uns gegeben wurden. Es ist nicht leicht zu erklären. Ich bin neu in der Schauspielerei, aber mir kam es wie eine Art Träumen vor. Der Schauspieler ist er selbst und zugleich ein anderer. Wenn er sich die anderen Mitwirkenden in dem Stück anschaut, dann weiß er, daß er ein Teil ihres Traumes ist, genauso, wie die anderen Teile seines Traumes sind. Daraus ergeben sich Gedanken und Worte, die ihm außerhalb der Bühne kaum in den Sinn gekommen wären.«
       »Ja, ich verstehe«, sagte er. »Und während ihr den Mord gespielt habt …«
       »Stets deutete alles von dem Mädchen fort und zuerst auf den Benediktiner, weil der gelogen hatte.«
       Ich begann ihm von diesen Lügen zu erzählen, doch er hob eine Hand. »Ich habe die Niederschrift seiner Aussage gelesen«, sagte er.
       Es war die erste Bemerkung von seiner Seite, die erkennen ließ, daß er sich mit der Sache befaßt hatte, und das machte mir Mut. »Aber dann wurde er gehängt«, sagte ich. »Man steckte ihn in ein Büßergewand, fesselte ihm die Hände und hängte ihn auf. Und wir sagten uns, der Grund für die Bestrafung könne nur

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