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Die Masken der Wahrheit

Die Masken der Wahrheit

Titel: Die Masken der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Unsworth
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ein offenes Tor darin, über dem sich ein emporgezogenes Fallgatter befand. Ich gelangte auf ein Feld mit zertrampelter Schneedecke. Mir direkt gegenüber erblickte ich das Gebälk der Schranken und die leeren Tribünen: Ich befand mich auf dem Turnierplatz.
       Wie lange mein Leben auch währen mag, ich weiß, daß ich diesen Augenblick nie vergessen werde. Das Licht des Mondes schimmerte auf den Kämmen der Schneewächten, während die Vertiefungen in violettem Schatten lagen. Vor mir befand sich der freie Platz, den es zu überqueren galt, hin zu den Pfosten des hohen Pavillons, dicht an der Mauer.
       Ich überquerte den Platz in schnellem Lauf. Wie ich schon sagte, bin ich ein guter Kletterer; von klein auf war ich flink und leichtfüßig – dies hatte auch Martin letztlich dazu bewogen, mich in die Truppe aufzunehmen. Ich brauchte nicht lange, um das Dachgebälk zu erklettern und mich von dort auf die Mauerbrüstung zu schwingen. Sie lag mindestens drei Mannshöhen über dem Erdboden, doch inzwischen besaß ich einige Übung im Fallen; überdies hatte der Wind den Schnee am Fuß der Mauer hoch angeweht. Dennoch stauchte der Aufprall mir die Wirbelsäule und nahm mir die Luft, doch meine Knochen waren heil geblieben. Ich wartete, bis ich wieder zu Atem gekommen war; dann machte ich mich auf den Weg den Hügel hinunter, dorthin, wo die schwachen, verstreuten Lichter der Stadt lagen.

Kapitel fünfzehn 
    oweit als möglich hielt ich mich in Deckung und mied aus Angst vor Verfolgern die Straße – das Licht war hell genug, um vor dem Hintergrund des Schnees einen Mann auszumachen, der sich bewegte. Doch konnte von einer Verfolgung nicht die Rede sein. Vielleicht vermutete man, daß ich mich in irgendeinem Winkel der Burg versteckt hielt; oder man war der Ansicht, daß es zwecklos sei, in der Dunkelheit nach mir zu suchen, selbst mit Hunden. Doch was immer der Grund sein mochte – ich war um der anderen wie auch um meinetwillen dankbar dafür; denn solange ich mich auf freiem Fuß befand, hielt ich die Wahrscheinlichkeit, daß den anderen etwas geschah, für geringer.
       Als ich endlich das Wirtshaus erreichte, war ich von der Hüfte abwärts durchnäßt; ich zitterte und war dermaßen erschöpft, daß ich Mühe hatte, nicht zu taumeln. Der Hof war leer; kein Geräusch war zu hören. Doch in einem der oberen Zimmer schimmerte Licht durch Ritzen in den Fensterläden. Es war das Gemach am Ende der Galerie, das der Richter bewohnte. Die Eingangstür des Wirtshauses war noch offen. Ich stieg die Treppe hinauf und ging leise den Gang entlang, bis ich zu dem letzten Zimmer gelangte. Unter der Tür fiel Licht hervor. Für einige Augenblicke stand ich da, lauschte zuerst dem lauten Pochen meines Herzens und dann einer Stimme, die aus dem Zimmer drang. Sie sprach mit monotonem Klang, verstummte, und sprach dann weiter. Ich nahm all meinen Mut zusammen und pochte an die Tür.
       Ich hörte, wie die Stimme abbrach. Dann wurde die Tür geöffnet, und auf der Schwelle stand ein Mann in mittleren Jahren, ein dünner Bursche mit scharfen Gesichtszügen, der in einen schwarzen Umhang gekleidet war, wie die Advokaten ihn tragen. Sein Blick glitt über mich hinweg, über meinen rasierten Kopf und die nassen und zerknitterten Röcke meines Priestergewands. »Was wünscht Ihr?« fragte er in nicht gerade freundlichem Tonfall. Hinter ihm, mitten im Zimmer, stand ein noch größerer Mann.
       »Ich möchte den Richter sprechen«, sagte ich.
       »In welcher Angelegenheit?«
       »Es geht um den ermordeten Knaben«, sagte ich. »Ich bin Priester … Ich bin einer der Schauspieler.«
       »Es ist spät«, sagte er. »Der Herr Richter ist beschäftigt. Hat es nicht bis morgen Zeit?«
       »Laß ihn herein!«
       Die Worte waren nicht sehr laut gesprochen worden, doch es war eine jener Stimmen, die das Befehlen gewöhnt sind. Der Mann an der Tür machte mir Platz, und ich betrat das Zimmer. Ein Pult stand darin, auf dem Schriftrollen lagen, und im Kamin prasselte ein Feuer. In einem dreiarmigen Messingleuchter standen hohe Kerzen, die mit so klaren Flammen brannten, wie nur reiner Talg sie hervorbringt. Nie und nimmer hätte das Wirtshaus seine Gäste mit so etwas versorgen können – ebensowenig mit den roten und goldenen Wandbehängen aus Damast. Dann stand ich einem sehr großen und dickleibigen Mann gegenüber, der ein schwarzes Käppchen und einen Samtumhang von gleicher Farbe trug, welcher am Hals von einer

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