Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Masken der Wahrheit

Die Masken der Wahrheit

Titel: Die Masken der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Unsworth
Vom Netzwerk:
ohne eine Bewegung oder ein Geräusch, während ich ihm noch das Kruzifix vorhielt, floh seine Seele den Körper. Der Knappe jedoch bemerkte es, und er trat zur Bettstatt und kniete neben dem Leichnam nieder, meinen Platz einnehmend. Und die Dame, welche dies sah, näherte sich von der anderen Seite. Die Dienerin, die wohl noch nicht bemerkt hatte, daß der Ritter tot war, hatte sich zum Tisch umgedreht und befeuchtete ein Tuch, um dem Ritter damit den Schweiß abzuwischen, den der Schmerz ihm aufs Gesicht getrieben hatte. Während dieser wenigen Augenblicke schaute niemand zu mir. Draußen vor der Tür, durch die ich ins Gemach gekommen war, wartete immer noch der Bewaffnete. Aber da war ja noch diese andere Tür.
       Wenn man von einem Impuls getrieben wird wie ich zu dem damaligen Zeitpunkt, besteht das größte Problem darin, sich langsam zu bewegen. Drei Schritte brachten mich nahe genug heran; dann stand ich mit dem Rücken zur Tür und versuchte, sie zu öffnen. Sie war nicht verschlossen, sondern gab bei meiner Berührung nach. Ich zögerte nicht länger, sondern verließ rückwärts das Zimmer, gelangte auf einen schmalen Absatz und schob die Tür leise hinter mir zu. Im letzten Licht, das durch den Türspalt fiel, sah ich unmittelbar vor mir zwei Stufen und einen schmalen, aber geraden Gang, der von der Kammer wegführte. An der Tür befand sich ein Riegel mit hölzernem Verschluß, den ich fest vorschob. Nun gab es kein Licht mehr, doch ich eilte davon, so schnell ich nur konnte. Ich hatte keinen Plan und glaubte auch nicht wirklich an ein Entkommen. Es war die Angst, die mich vorantrieb; doch für einen wie mich ist die Angst ein mächtiger Verbündeter, denn sie schärft den Verstand und verleiht den Füßen Flügel.
       Fortuna stand mir zur Seite, wie sie es schon vermittels des sterbenden Ritters getan hatte. Ich gelangte ans Ende des Ganges, ohne daß ich hörte, daß hinter mir ein Versuch unternommen wurde, die Tür zu öffnen. Von dem Gang, an dessen Ende ich mich nun befand, bog ein weiterer ab, durch den ich mich vorantastete. Unvermittelt gelangte ich an eine Treppe, die sich wie ein Schlund zu meinen Füßen öffnete, und ich stolperte und wäre um ein Haar gestürzt. Es war eine kurze Treppe – nur sechs Stufen. Ich erinnerte mich, daß man mich und die anderen zwei Treppen hinuntergeführt hatte, als wir zum Baron gebracht worden waren; deshalb schien es mir, daß ich jetzt vielleicht zum ebenerdigen Teil der Burg gelangte.
       Und so war es auch. Die Treppe führte mich weiter zur Galerie des Saales, der von Kerzen und Holzscheiten, die im Kamin glühten, noch immer mit trübem Licht erhellt wurde; doch nun war der Saal menschenleer. Das abendliche Mahl hatte mit Musikbegleitung stattgefunden; die Pulte der Musikanten standen noch auf der einen Seite der Galerie. Vor dem verglimmenden Feuer lag ein Jagdhund, der jedoch keine Notiz von mir nahm. Auf der langen Tafel stand noch Geschirr, und der hohe Stuhl des Barons war nach hinten gerückt, so, wie der Burgherr den Tisch verlassen hatte; die Bänke standen zu beiden Seiten. Von dort, wo die Küchen waren, hörte ich die Stimmen von Bediensteten, doch niemand erschien, als ich die Treppe hinunterstieg und den Saal durchquerte.
       Der schlimmste Augenblick war der, als ich ins Freie gelangte, wonach ich mich doch so sehr gesehnt hatte. Aber im Hof erklangen Stimmen, und Fackeln bewegten sich umher. Zuerst glaubte ich, daß es Verfolger wären, auf der Suche nach mir, und ich verharrte auf der Stelle, an der ich mich befand, im Schatten der Mauer. Dann aber sah ich, daß einige Leute von Pferden stiegen, darunter auch Damen, und ich erkannte, daß es sich um Gäste handelte, die zu später Stunde eintrafen. Doch ich fürchtete, jemand könnte mich sehen und befragen, was ich im Dunkel des Hofes triebe; deshalb hielt ich mich eng an die Mauer, als ich mich davonmachte. Das Mondlicht war hell genug, daß ich etwas erkennen konnte. Ich bog auf einen kiesbedeckten Weg ab, der zu beiden Seiten von Mauern eingefaßt war, doch über mir konnte ich den Abendhimmel sehen. Noch immer wußte ich nicht, wie ich von der Burg fliehen konnte. Das Haupttor schied als Fluchtweg aus; die Wache dort war inzwischen gewiß alarmiert.
       Doch nun bewies Fortuna, daß sie mir wirklich wohlgesonnen war und daß der Ausspruch des Terentius, das Glück sei stets mit den Tapferen, nicht immer zutrifft. Der Weg endete zwar an einer hohen Mauer, doch gab es

Weitere Kostenlose Bücher