Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Mauern von Logghard

Die Mauern von Logghard

Titel: Die Mauern von Logghard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernst Vlcek
Vom Netzwerk:
bestand, war ein heller, fast weißer Stein. An der Mythor zugewandten Seite war dieses »Nest« offen, und eine Treppe aus sieben Stufen führte hinauf.
    Zuerst war Mythor überrascht, dass er in der Lautsprache angesprochen wurde. Aber dann sah er beim Näherkommen, dass sich in dem »Nest« zwei Gestalten aufhielten.
    Die eine saß auf einer Erhöhung und hatte die Hände auf die Schultern der vor ihr kauernden gelegt. Beide trugen sie die bekannten Kapuzenmäntel.
    Als Mythor die Treppe erreichte, sagte die vorne kauernde Gestalt: »Und jetzt halt! Du bist mir nahe genug. Ich spreche durch diesen Mittler zu dir, weil du der lautlosen Sprache nicht mächtig bist. Aber wenn meine Worte auch aus dem Mund dieses Unbedeutenden kommen, so sind es doch die Worte deines Herrn, der ich bin.«
    Jetzt erst erkannte Mythor, dass es sich bei dem erhöht Sitzenden um einen Großen mit vernähtem Mund handelte. Er wirkte lange nicht so alt wie Seelenfinger und hatte kaum Falten in seinem knochigen Gesicht. Es war also nicht die Weisheit des hohen Alters, die den Größten aller Großen, den Erleuchteten auszeichnete. Der Mann vor ihm, das Medium, durch dessen Mund der Erleuchtete sprach, war sogar fast noch ein Knabe und gewiss fünf Sommer jünger als Mythor. Er hatte eine blasse, fast weiße Haut und rötlich leuchtende Augen, die jedoch starr geradeaus blickten. Er war blind, das erkannte Mythor sofort. Diese Erkenntnis erweckte irgendwie seinen Widerwillen, zeigte sie ihm doch, dass die Großen nicht nur sich selbst verstümmelten, sondern auch jene, deren sie sich bedienten. Einen körperlichen Makel zu haben, das war keine Schande, sondern ein schweres Los, aber Menschen absichtlich mit Gebrechen des Körpers und der Sinne zu behalten, das erschien Mythor als verdammenswert.
    »Du bist also der Größte aller Großen«, stellte Mythor fest. »Du magst mächtig sein und über viele herrschen, die deiner Gesinnung sind, und manch erstaunliche Fähigkeit haben. Doch fehlt ihnen die Menschlichkeit, so dass ich mich nicht ihnen zugehörig fühlen kann. Und darum anerkenne ich dich auch nicht als meinen Herrn.«
    »Es ist also wahr, du bist durch und durch entartet«, sagte der Erleuchtete durch seinen blassen, blinden Mittler, mit dem Mythor Mitleid hatte. »Wie sonst könntest du es wagen, so mit mir zu sprechen. Mit mir, der ich dein Vater bin, dein Gönner und dein Schutzherr. Denn ich bin die rechte Hand des Lichtboten und der Bewahrer der Legende vom Sohn des Kometen.«
    »Du – mein Vater?« entfuhr es Mythor überrascht. »Das glaube ich nicht.«
    »Und doch ist es so«, sagte das blinde Medium. »Willst du die Wahrheit erfahren? Es ist die Geschichte von Logghard, der Ewigen Stadt, die mit deinem Lebenslauf so eng verknüpft ist wie das Ungeborene durch die Nabelschnur mit seiner Mutter. Die Dämonen haben deine Nabelschnur durchtrennt, so dass du auf Abwege gerietest. Doch muss noch ein guter Kern in dir erhalten geblieben sein, denn sonst wäre es dir nicht möglich gewesen, sechs Lichtpunkte aufzusuchen und zu plündern.«
    Mythor wollte gegen diese infame Unterstellung aufbegehren, aber der Größte der Großen unterband seinen Gefühlsausbruch durch ein scharfes »Schweig!« aus dem Mund seines Mittlers, der sanfter fortfuhr:
    »Du sollst mir zuhören und dich dann entscheiden. Deine Rechtfertigung kannst du dir ersparen, denn sie ist mir bekannt. Du sollst die Wahrheit über dich erfahren, und das müsste dir etwas Selbstbeherrschung wert sein.«
    »Ich höre«, sagte Mythor.
    Es entstand eine kurze Pause, bevor der Erleuchtete wieder durch den Mund seines Mittlers sprach.
    »Einst lag unsere Welt in einen Schleier des Bösen gehüllt. Da kam der Lichtbote auf seinem Kometentier und brachte der Welt Gorgan das Licht zurück. Er vertrieb die Dunklen Mächte in die Schattenzone, wohl wissend, dass dies kein endgültiger Sieg über die Dämonen war. Doch musste er weiterziehen, denn es galt, auch anderswo das Böse zu bekämpfen. Darum ließ er in Gorgan seine Waffen zurück. Er errichtete sechs Stützpunkte und hinterließ in jedem davon ein starkes Vermächtnis. Und er bestimmte, dass der Sohn des Kometen erscheinen sollte, wenn das Böse wieder überhandnähme und sich die Dunklen Mächte wieder in Gorgan ausbreiteten. An einem siebten Fixpunkt aber errichtete er eine Lichtsäule, die alles Dunkel überstrahlen sollte, und hier baute er auch sein Grabmal. Es ist ohne Bedeutung, ob in diesem Grabmal seine Gebeine

Weitere Kostenlose Bücher