Die Mayfair-Hexen
Kopf.
Ein Geräusch kam von der Tür. Sie sprang einen Spaltbreit auf und schwang dann ganz zurück. Mona stand im Rahmen, das Gesicht ebenfalls leicht gefleckt vom Weinen, die Augen voller Wachsamkeit.
»Ihr werdet ihr nichts tun.«
»Nein«, sagte er. »Wann ist es passiert?«
»Erst vor ein paar Tagen. Hört mal, ihr müßt kommen. Wir müssen miteinander reden. Sie kann nicht weglaufen. Sie kann da draußen allein nicht überleben. Sie glaubt, sie kann es, aber sie kann es nicht. Ich verlange nicht, daß ihr es ihr sagt, wenn da draußen wirklich irgendwo ein Mann ist. Aber kommt und akzeptiert mein Kind und hört zu.«
»Das werden wir«, sagte Rowan.
Mona nickte.
»Es geht dir nicht gut. Du brauchst Ruhe«, sagte Rowan.
»Das macht die Entbindung, aber mir geht’s gut. Sie braucht dauernd Milch.«
»Dann wird sie auch nicht weglaufen«, sagte Rowan.
»Vielleicht nicht«, sagte Mona. »Seht ihr’s, alle beide?«
»Daß du sie liebst? Ja«, sagte Rowan. »Das sehe ich.«
Mona nickte langsam. »Kommt herunter. In einer Stunde. Ich denke, dann ist sie okay. Wir haben ihr eine Menge hübscher Kleider gekauft. Die gefallen ihr. Sie besteht darauf, daß wir uns auch fein machen. Vielleicht bürste ich ihr das Haar nach hinten und binde eine Schleife hinein, wie ich es bei mir auch immer getan habe. Sie ist klug. Sie ist klug, und sie sieht…«
»Was sieht sie?«
Mona zögerte. Und dann kam die Antwort, kleinlaut und ohne Überzeugung. »Sie sieht die Zukunft.«
Die Tür schloß sich.
Er merkte, daß er die fahlen, rechteckigen Fensterscheiben anstarrte. Das Licht schwand schnell; im Frühling war die Dämmerung so kurz. Draußen hatten die Zikaden zu singen begonnen. Hörte sie das alles? Tröstete es sie? Wo war sie jetzt, diese, seine Tochter?
Er tastete nach der Lampe.
»Nein, nicht«, sagte Rowan. Sie war jetzt eine Silhouette; eine Linie aus schimmerndem Licht definierte ihr Profil. Der Raum zog sich zusammen und wurde dann endlos in der Dunkelheit. »Ich möchte nachdenken. Ich möchte im Dunkeln laut denken.«
»Ja, ich verstehe«, sagte er.
Sie drehte sich um, und sehr langsam, mit höchst effizienten Bewegungen, schob sie die Kopfkissen hinter ihn, so daß er sich zurücklehnen konnte, und er ließ es geschehen, auch wenn er sich dafür haßte. Er ruhte sich aus und sog die Luft tief in die Lunge. Das Fenster war glasig und weiß, und wenn die Bäume davor sich bewegten, dann war es, als wolle die Dunkelheit von draußen hereinspähen. Es war, als ob die Bäume lauschten.
Und Rowan sprach.
»Ich sage mir, daß wir alle vom Grauen bedroht sind. Jedes Kind kann ein Monster sein, ein Todbringer. Was würdest du sagen, wenn es ein Baby wäre, ein winziges, rosiges Ding, wie es sein soll, und eine Hexe käme und legte ihm die Hände auf und sagte: ›Wenn es groß ist, wird es Krieg führen, es wird Bomben bauen, Tausende, ja, Millionen Menschenleben werden ihm zum Opfer fallen.‹ Würdest du es erwürgen? Ich meine, wenn du es wirklich glaubtest? Oder würdest du sagen: ›Nein!‹.«
»Ich überlege«, sagte er. »Ich überlege mir Dinge, die irgendwie einleuchtend sind: daß sie neugeboren ist, daß sie zuhören muß, daß diejenigen, die sie umgeben, ihre Lehrer sein müssen, und wenn die Jahre vergehen, wenn sie älter wird, dann…«
»Und was ist, wenn Ash sterben sollte, ohne es je zu erfahren?« fragte Rowan. »Erinnerst du dich an seine Worte? Wie lauteten sie noch, Michael? ›Der Tanz und der Kreis und dazu noch das Lied…‹ Glaubst du überhaupt an die Prophezeiung aus der Höhle? Wenn ja – und ich weiß nicht, ob ich daran glaube -, wenn du daran glaubst, was dann? Verbringen wir unser Leben damit, sie voneinander fernzuhalten?«
Es war stockfinster im Zimmer. Fahlweiße Lichtstreifen tasteten sich über die Decke. Die Möbel, der Kamin, die Wände waren verschwunden. Nur die Bäume da draußen hatten ihre Farben, ihre Einzelheiten noch behalten, denn die Straßenlaternen beschienen sie.
»Wir gehen hinunter«, sagte er, »und wir hören zu. Und vielleicht, vielleicht rufen wir dann die ganze Familie zusammen. Sie sollen alle kommen, wie sie gekommen sind, als du hier im Bett lagst und wir dachten, du würdest sterben. Alle. Wir brauchen sie. Lauren und Paige und Ryan, ja, Ryan, und Pierce und die uralte Evelyn.«
»Vielleicht«, sagte sie. »Und weißt du, was passieren wird? Sie werden sie anschauen, wie sie vor ihnen steht in ihrer unbestreitbaren Unschuld und
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