Die Mayfair-Hexen
archite k tonischer Kostbarkeiten, hergestellt mit Lichtgeschwindigkeit und »kosteneffektiv«, wie die Unternehmensleitung es au s drücken würde. Es würde sie in zahlreichen Größen geben, von Puppenstuben bis zu Häusern, die ein Kind betreten kon n te. Und Karussellpferde für den Verkauf, aus Holzharz, das sich fast niemand mehr leisten konnte. Hunderte davon könnte man Schulen schenken, Krankenhäusern und anderen so l chen Institutionen. Und dann wirklich schöne Puppen für arme Kinder, Puppen, die unzerbrechlich waren. Aber daran arbeit e te er mehr oder minder schon, seit das neue Jahrhundert he r aufgedämmert war.
In den letzten fünf Jahren produzierte er immer billigere Pu p pen, Puppen, die ihren Vorgängerinnen überlegen waren, Puppen aus neuen chemischen Materialien, Puppen, die hal t bar und liebenswert waren – aber immer noch zu teuer für arme Kinder. Dieses Jahr würde er etwas ganz anderes ve r suchen… Er hatte Pläne auf dem Zeichenbrett, ein, zwei vie l versprechende Prototypen.
Er spürte, wie ihn beim Gedanken an all diese vielen Projekte eine tröstliche Wärme durchströmte, denn sie würden Hunde r te von Jahren erfordern. Einst – in den uralten Zeiten, wie sie sie nannten – hatte er von Monumenten geträumt. Große Steinkreise, die jedermann sehen konnte, ein Tanz der Riesen im hohen Gras der Ebene. Selbst bescheidene Türme hatten ihn jahrzehntelang gefesselt, und einmal war die Herstellung von wunderschönen Handschriften über Jahrhunderte hinweg seine ganze Freude gewesen.
Aber in diesem Spielzeug der modernen Welt, in diesen Puppen, diesen winzigen Abbildern der Menschheit, hatte er eine seltsame, herausfordernde Obsession gefunden.
Monumente waren für diejenigen, die Reisen machten, um sie zu sehen. Die Puppen und Spielsachen, die er verfeinerte und fabrizierte, erreichten jedes Land der Erde. Überhaupt hatten die Maschinen neue und schöne Gegenstände aller Art für die Menschen aller Nationen verfügbar gemacht – für die Reichen, die Armen, für diejenigen, die Trost, Nahrung oder ein Dach über dem Kopf brauchten, für diejenigen, die in Sanatorien und Anstalten verwahrt wurden, ohne sie je verlassen zu kö n nen.
Sein Unternehmen war seine Erlösung gewesen; noch seine wildesten, waghalsigsten Ideen waren erfolgreich in die Produktion gegangen. Ja, er verstand überhaupt nicht, warum andere Spielzeugfirmen so wenige Innovationen hervorbrachten. Warum füllten Schablonenpuppen mit leeren Gesichtern die Ladenregale? Anders als seine freudlosen Kollegen war er mit jedem seiner Triumphe größere Risiken eingegangen.
Es machte ihn nicht glücklich, andere aus dem Markt zu drä n gen. Nein – Konkurrenz war immer noch etwas, das er nur intellektuell begreifen konnte. Insgeheim glaubte er, daß die Zahl der potentiellen Käufer auf der Welt unbegrenzt war. Es gab genug Platz für jeden, der irgend etwas von Wert zu vermarkten hatte.
Seinen Triumph indes konnte er mit niemandem teilen. Nur die Puppen konnten daran teilhaben. Die Puppen, die auf Glasr e galen an den Wänden aus farbigem Marmor standen, auf P o desten in den Ecken, die Puppen, die sich auf seinem breiten Holzschreibtisch drängten. Seine Bru, seine Prinzessin, seine französische Schönheit, hundert Jahre alt – sie war seine treueste Zeugin. Kein Tag verging, an dem er nicht in den e r sten Stock des Gebäudes hinunterfuhr und sie besuchte, ein Prachtstück aus Biskuitporzellan, nach makellosen Maßstäben gefertigt, knapp einen Meter groß, die Mohairlocken unberührt von der Zeit, das gemalte Gesicht ein Meisterwerk, der Torso und die hölzernen Gliedmaßen so perfekt wie vor einhundert Jahren, als die französische Firma sie für den Pariser Markt hergestellt hatte.
Das war ihr Zauber gewesen: daß sie ein Ding war, an dem sich Hunderte von Kindern erfreuen konnten. Mit ihr war ein Höhepunkt erreicht worden, im Handwerk wie in der Massenproduktion.
In manchen Jahren, bei seinen Wanderungen durch die Welt, hatte er sie bei sich gehabt, und zuweilen hatte er sie aus dem Koffer genommen, nur um in ihre Glasaugen zu schauen, um ihr von seinen Gedanken zu erzählen, seinen Gefühlen, se i nen Träumen. Nachts, in schmutzigen, einsamen Zimmern, hatte er das Licht in ihren stets wachsamen Augen funkeln sehen. Und jetzt stand sie in einem Glashaus, und Tausende sahen sie jedes Jahr, sie und all die anderen antiken Bru-Puppen, die sich um sie drängten. Manchmal hatte er Lust, sie heimlich mit
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