Die Mechanik des Herzens: Roman (German Edition)
in Ordnung?«, fragt Madeleine, während sie Einkäufe in den Küchenschrank räumt.
»Ja und nein«, antworte ich zitternd.
Sie dreht sich zu mir um und mustert mich streng.
»Hast du etwa die kleine Sängerin wiedergesehen? Das letzte Mal war dein Herz an jenem Tag, als du sie in der Stadt gesehen hast, so ramponiert wie jetzt.«
Madeleine klingt, als hätte ich beim Fußballspielen meine Sonntagsschuhe ruiniert. Während sie meinen Zeiger mit einer Rohrzange gerade biegt, erzähle ich ihr von der Prügelei. Mein Herz beginnt wieder zu flattern.
»Was hast du nur angestellt!«, sagt Madeleine seufzend.
»Kann ich die Zeit zurückdrehen, indem ich meine Zeiger in die entgegengesetzte Richtung drehe?«
»Nein, du machst dir nur die Zahnräder kaputt und tust dir höllisch weh. So was funktioniert nicht. Man kann sein Tun nicht ungeschehen machen, auch nicht, wenn man eine Uhr als Herz hat.«
Ich hatte eigentlich damit gerechnet, dass sie mir heftige Vorwürfe macht, weil ich Joe so schwer verletzt habe, aber es gelingt ihr nicht einmal, ein verärgertes Gesicht zu machen. Ihre Stimme klingt eher besorgt als wütend. Offenbar findet sie es schlimmer, dass ich mich verliebt als dass ich einem Rüpel das Auge ausgestochen habe.
Plötzlich dringen die Klänge von Oh When the Saints an mein Ohr. Normalerweise besucht uns Arthur nie so spät. Kaum durch die Tür, ruft er atemlos: »Eine Kutsche voller Polizisten ist auf dem Weg hierher. Sie fahren gerade den Berg hoch.«
Madeleine starrt Arthur entgeistert an.
»Sie kommen mich wegen Joes Auge holen. Ich muss verschwinden«, schreie ich.
Die Flammen meiner widerstreitenden Gefühle lassen meine Gedanken explodieren. Die rosarote Aussicht, die kleine Sängerin wiederzusehen, vermischt sich mit der eisigen Angst, meinen Herzschlag von feuchten Zellenwänden widerhallen zu hören, während ich verzweifelt die Gitterstäbe umklammere. Eine Woge der Melancholie spült beides fort. Kein Arthur mehr, keine Anna, keine Luna und vor allem keine Madeleine.
Ich schaue zu ihr hinüber und bin sicher, dass ihr Blick der traurigste ist, den ich jemals sehen werde. Doch schon im nächsten Moment gibt sie sich geschäftig.
»Arthur, sag Anna und Luna Bescheid und versuch, eine Kutsche aufzutreiben. Jack muss so schnell wie möglich die Stadt verlassen. Ich bleibe hier und rede mit der Polizei …«
Arthur stürzt hinaus in die Nacht und humpelt, so schnell er kann, den Berg hinunter.
»Ich packe dir ein paar Sachen ein, du musst spätestens in zehn Minuten fort sein.«
»Was wirst du der Polizei sagen?«
»Dass du nach der Schule nicht nach Hause gekommen bist. Und in ein paar Tagen werde ich hingehen und dich vermisst melden. Nach einer Weile wird man dich für tot erklären, und Arthur wird mir helfen, unter deinem Lieblingsbaum ein Grab zu schaufeln, neben Cunnilingus.«
»Was kommt in den Sarg?«
»Es wird keinen Sarg geben, nur eine in den Baum geritzte Inschrift. Die Polizei wird das Grab nicht überprüfen. Das ist der Vorteil, wenn man als Hexe verrufen ist: Niemand traut sich, deine Gräber zu öffnen und darin herumzuschnüffeln.«
Madeleine packt mir ein paar Kleider zum Wechseln ein und mehrere Einmachgläser mit Tränen. Ich würde ihr gern helfen, aber ich weiß nicht, wie. Ich könnte etwas Bewegendes sagen oder meine Wäsche falten, aber ich stehe einfach nur da wie bestellt und nicht abgeholt.
Sie schiebt mir den Zweitschlüssel für mein Herz in die Jackentasche, damit ich mich selbst aufziehen kann. Dann verstaut sie mehrere in Papier eingeschlagene Pfannkuchen in meinem zum Reiserucksack umfunktionierten Schulranzen – egal, was passiert, Madeleine vergisst nie, sich ums Essen zu kümmern – und steckt mir eine Handvoll Pfundnoten in die Hosentasche.
»Das kann ich doch nicht alles mit mir herumschleppen!«
Ich gebe mich abgebrüht, dabei treibt mir ihre Fürsorge Tränen in die Augen. Statt einer Antwort schenkt sie mir ihr berüchtigtes Wackelkontaktlächeln.
Ich setze mich auf meinen Rucksack, um ihn zu schließen.
»Und vergiss nicht, einen Uhrmacher aufzusuchen, sobald du dich irgendwo ankommst!«
»Du meinst, einen Arzt?«
»Nein, bloß nicht! Mit Herzproblemen darfst du niemals zu einem Arzt gehen. Ärzte verstehen nichts davon. Nur ein Uhrmacher kann dir helfen.«
Ich will ihr sagen, wie lieb ich sie habe und wie unendlich dankbar ich für alles bin, die Worte drängeln sich auf meiner Zunge, aber sie weigern sich, die Schwelle
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