Die Mechanik des Herzens: Roman (German Edition)
Blick – als es plötzlich »krack« macht.
Eigelb läuft mir übers Gesicht, als würde mein Traum in gelben Tränen aus mir herausfließen. Joe steht über mir, in den Händen hält er die zerbrochene Eierschale. Die anderen lachen, manche applaudieren sogar, und die Feuerfee aus meinem Traum löst sich in Luft auf.
»Nächstes Mal wird dein Herz dran glauben.«
Im Unterricht machen sich alle über die Eierschalenstücke in meinem Haar lustig. Ich schwöre heimlich Rache. Von nun an verbringe ich fast ebenso viel Zeit damit, Joe zu hassen, wie Miss Acacia zu lieben.
Joe drangsaliert mich weiterhin Tag für Tag, Monat für Monat. Ich bin für ihn ein Spielzeug, an dem er seine Wut auslässt – und seine Traurigkeit. Sooft ich das Pflänzchen meiner Erinnerungen an die kleine Sängerin auch gieße, es bekommt einfach nicht genug Sonne ab.
Madeleine gibt sich große Mühe, mich zu trösten, aber sie will immer noch nichts von meinem Herzschmerz hören. Der arme Arthur hat mittlerweile fast alle Erinnerungseier aus seiner Tasche aufgebraucht und singt nur noch selten.
An meinem Geburtstag beglücken mich Anna und Luna mit demselben Geschenk wie in den Jahren zuvor: Sie besprühen Cunnilingus spaßeshalber mit Parfüm. Aber diesmal übertreibt es Luna mit der Dosis. Der süße Nebel ist zu viel für den kleinen Hamster, er bekommt Zuckungen, versteift sich und kippt tot um. Der Anblick meines treuen Gefährten, der leblos in seinem Käfig liegt, macht mich unendlich traurig. Ein klagendes »Kuckuck« entweicht meiner Brust.
Um mich zu trösten und auf andere Gedanken zu bringen, erteilt mir Luna Erdkundeunterricht über Andalusien. Ah, Andalucia … Wüsste ich mit Sicherheit, dass Miss Acacia dort ist, würde ich auf der Stelle aufbrechen!
Vier Jahre sind seit meiner Begegnung mit der kleinen Sängerin vergangen und fast drei Jahre seit meinem ersten Schultag. Noch immer suche ich sie vergeblich. Unter dem Gewicht der Zeit zerfallen meine Erinnerungen allmählich zu Staub.
Am Abend vor meinem letzten Schultag habe ich beim Schlafengehen einen bitteren Geschmack im Mund. In dieser Nacht werde ich kein Auge zu tun. Der Gedanke an mein Vorhaben hält mich wach. Ich habe eine Entscheidung getroffen: Morgen beginne ich mit der Eroberung des Wilden Westens der Liebe. Ich muss um jeden Preis herausfinden, wo die kleine Sängerin ist. Und der einzige Mensch, der eine Antwort auf diese Frage weiß, ist Joe. Ich liege wach und beobachte, wie die Morgendämmerung die Schatten mit jedem Ticken meiner Uhr schärfer werden lässt.
Es ist der 27. Juni, und ich stehe auf dem Schulhof. Der Himmel ist strahlend blau, viel zu blau für Edinburgh. Nach der schlaflosen Nacht liegen meine Nerven blank.
Ich marschiere entschlossen auf Joe zu, aber bevor ich auch nur ein Wort sagen kann, packt er mich am Kragen und hebt mich hoch. Mein Herz knirscht, Wut wallt in mir auf, mein Kuckuck gibt ein heiseres Krächzen von sich. Die Schüler bilden einen Kreis um uns, und Joe heizt die Menge an:
»Zeig uns, was du da in der Brust hast. Na los, zieh dein Hemd aus. Wir wollen das Ding sehen, das immer so dämlich tickt.«
»Jaaa!!!«, grölt die Menge.
Mit der freien Hand reißt er mir das Hemd auf und kratzt mit den Fingernägeln an meiner Uhr herum, bis er das kleine Schlüsselloch entdeckt.
»Wie geht das auf?«
»Man braucht einen Schlüssel.«
»Gib ihn mir!«
»Ich hab ihn nicht dabei, er ist zu Hause! Lass mich los!«
Joe stochert hartnäckig mit dem langen Nagel seines kleinen Fingers im Schlüsselloch herum, bis das Zifferblatt nach einer Weile tatsächlich aufspringt.
»Siehst du, man braucht gar keinen Schlüssel! Wer will mal anfassen?«
Die Schüler, die mich jahrelang ignoriert haben, treten einer nach dem anderen vor, ziehen an meinen Zeigern und drehen an den Zahnrädern, ohne mich anzusehen. Sie tun mir weh. Mein Kuckuck bekommt Schluckauf und stößt verzweifelte Rufe aus. Die umherstehenden Schüler klatschen und johlen. Bald skandiert der ganze Schulhof: »Kuckuck – Kuckuck – Kuckuck – Kuckuck!«
In diesem Moment legt sich in meinem Hirn ein Schalter um. Es bricht aus mir hervor: »Wo ist Miss Acacia?!?«
»Was hast du gesagt? Ich hab dich nicht richtig verstanden«, knurrt Joe und dreht mir den Arm auf den Rücken.
»Wo ist sie? Sag mir, wo sie ist! Egal ob hier oder in Andalusien, ich werde sie –«
Joe wirft mich zu Boden und setzt sich auf mich. Mein Kuckuck krächzt hilflos, meine Speiseröhre
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