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Die Mechanik des Herzens: Roman (German Edition)

Die Mechanik des Herzens: Roman (German Edition)

Titel: Die Mechanik des Herzens: Roman (German Edition)
Autoren: Mathias Malzieu
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ist Liebe nur für ein rosaroter Unsinn! Madeleine hatte mich gewarnt, aber ich wollte ja nicht auf sie hören.
    Wir kommen immer langsamer voran. In meiner Brust tobt ein Inferno, aber ich bin wie betäubt. Sollte meine Uhr endgültig den Geist aufgeben, würde das auch keinen großen Unterschied mehr machen.
    Wie gern würde ich jetzt den vertrauten Edinburgher Berg vor mir sehen. Ach, Madeleine, das wäre so schön! Ich würde mich sofort in meinem Bett verkriechen. Bestimmt lassen sich noch ein paar Kindheitsträume unter dem Kopfkissen finden. Ich würde versuchen, sie nicht zu zerdrücken, auch wenn mein Kopf von all den Erwachsenensorgen zentnerschwer ist. Ich würde einschlafen, um nie wieder aufzuwachen, und der Gedanke hätte etwas Tröstliches. Am nächsten Morgen würde ich die Augen aufschlagen und mich wie ein k.-o.-gegangener Boxer fühlen, aber Madeleine würde mich einfach schnell reparieren, und ich wäre wieder so gut wie neu.
    In der Werkstatt hievt Méliès mich auf sein Bett. Eine Blutlache breitet sich unter mir auf dem Laken aus. Abermals blühen Rosen im schwarzen Schnee, sie wirbeln um mich herum.
    ›Verdammt, ich habe sein Laken versaut!‹, denke ich in einem plötzlichen Anflug von Klarheit. Mein Kopf ist bleischwer, mein Hirn ist müde und will raus aus meinem Schädel, mein Herz ist müde und will raus aus seinem Uhrengehäuse.
    »Ich will ein neues Herz! Mach mich zu jemand anderem, ich will nicht mehr ich sein!«
    Méliès blickt besorgt auf mich herunter.
    »Ich will mein tonnenschweres Uhrenherz mit seinem morschen Holzgehäuse nicht mehr.«
    »Dein Uhrenherz ist nicht das Problem, glaub mir. Dein wahres Problem liegt viel tiefer.«
    »Du hast recht. Ich fühle mich, als wachse mir eine riesige Akazie zwischen den Lungenflügeln. Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie Joe sie in den Armen hielt, und der Anblick hat mir das Herz gebrochen. Ich hätte nie gedacht, dass es sich so schlimm anfühlen würde. Dann ist Miss Acacia fortgegangen, und das hat sich noch schlimmer angefühlt.«
    »Du wusstest, worauf du dich einließt. Du kanntest das Risiko, als du einem Feuermädchen den Schlüssel zu deinem Herzen aus Holz anvertrautest!«
    »Setz mir ein feuerfestes Herz ein und stell den Zähler auf null. Ich will mich nie wieder verlieben!«
    Als er das wahnsinnige Funkeln in meinen Augen sieht, weiß Méliès, dass jede Widerrede zwecklos ist. Er hebt mich hoch und bettet mich auf seine Werkbank, so wie Madeleine vor einer halben Ewigkeit.
    »Mal sehen …«, murmelt er. »Irgendwie kriegen wir das schon wieder hin.«
    Meine Zahnräder knirschen gruselig.
    »Ich will nicht, dass du diesen Witz von einem Herzen reparierst. Ich will ein neues Herz, das robust genug ist, um starke Gefühle auszuhalten. Du musst mir eine neue Uhr einsetzen!«
    »Das würde nichts nützen. Es ist dein Herz aus Fleisch und Blut, das repariert werden muss. Aber dafür brauchst du weder einen Arzt noch einen Uhrmacher. Das Einzige, was hilft, ist Zeit – viel Zeit. Und Liebe.«
    »Ich habe weder das eine noch das andere. Ich flehe dich an, setz mir eine neue Uhr ein!«
    »Na gut. Ruh dich aus, bis ich zurück bin. Und keine Dummheiten mehr, hörst du!«
    Méliès geht in die Stadt, um ein neues Herz für mich zu finden.
    Mir ist schwindelig. Ich beschließe, mein altes Herz ein letztes Mal aufzuziehen. Schuldbewusst denke ich an Madeleine, die alles getan hat, damit ich unbeschadet durchs Leben komme. Ich schäme mich in Grund und Boden.
    Als ich den Schlüssel ins Schloss stecke, schießt mir ein stechender Schmerz in die Brust. Blut tropft aus der Mitte der Uhr, wo die traurigen Zeigerstümpfe befestigt sind. Ich will den Schlüssel wieder herausziehen, aber er steckt fest. Ich nehme meine abgebrochenen Uhrzeiger und stochere damit im Schlüsselloch herum. Meine Kräfte schwinden rapide. Als es mir endlich gelingt, den Schlüssel herauszuziehen, spritzt Blut in einer hohen Fontäne aus dem Schloss. Das Licht geht aus. Der Vorhang fällt.
    Als ich wieder zu mir komme, ist Méliès zurück. Ich sehe ihn nur ganz verschwommen, als hätte mir jemand Miss Acacias Augen eingesetzt.
    »Ich habe ein neues Herz für dich gefunden. Es hat keinen Kuckuck und tickt viel leiser als dein altes.«
    »Danke …«
    »Gefällt es dir?«
    »Ja …«
    »Bist du sicher, dass du dein altes Herz nicht mehr willst? Immerhin hat Madeleine damals genau dieses Herz für dich ausgesucht.«
    »Ja …«
    »Du wirst nie wieder der Alte
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