Die Medica von Bologna / Roman
Euch nicht mit weiteren Einzelheiten langweilen, Herrin, nur so viel: Am dritten Tag meines Leidens teilte man mir mit, ich hätte mein Leben verwirkt, ich solle vom Pöbel Konstantinopels gesteinigt werden, was eine große Gnade sei, denn normalerweise würden Diebe wie ich mit dem Foltertod bestraft. Doch am Abend vor meiner Steinigung muss Allah Erbarmen mit mir gehabt haben, denn er richtete es so ein, dass meine Bewacher sich betranken und mich mit der Mutwilligkeit, die nur Bezechten zu eigen ist, aus meiner Zelle zerrten, um mit mir ›Hinrichtung‹ zu spielen. Sie warfen Steine auf mich, doch waren die Steine nur klein und zudem schlecht gezielt, so dass sie mir kaum etwas anhaben konnten. Das verdross sie, und einer zog sein Schwert und lallte, er wäre jetzt mein Scharfrichter, und ließ die Waffe mehrmals direkt vor meinem Gesicht niedersausen. Das gefiel den anderen, und sie taten es ihm nach, während ich stocksteif mit dem Rücken zur Wand dastehen musste. Nun, Herrin, Ihr könnt Euch denken, was dann passierte. Als meine Nasenspitze zu Boden fiel, brüllten sie auf vor Lachen, schlugen sich auf die Schenkel und tranken weiter, während mir das Blut über das Gesicht rann. Doch wie gesagt: Allah war auf meiner Seite. Er sorgte dafür, dass die Höllenhunde weitertranken und irgendwann bewusstlos zu Boden sanken. Das gab mir die Möglichkeit zu fliehen. Allah, der Erbarmer, der Barmherzige, leitete mich, und es gelang mir trotz meiner Verletzung, zum Hafen zu laufen und mich dort auf einem Schiff zu verstecken, das am nächsten Morgen nach Venedig auslief. Venedig ist eine schöne, lebensfrohe Stadt, wie Ihr wohl wisst, aber bald nachdem ich sie erreicht hatte, zeigte sie sich als Sterbende, denn die Pest nahm sie in ihren Todesgriff. Auch ich wäre gewiss der Seuche erlegen, wenn Ihr nicht gekommen wäret, Herrin. Dafür werde ich Euch immer dankbar sein.«
Ich dachte daran, dass ich am Anfang keineswegs begeistert war, ihn zu meinem Diener zu machen, aber ich sprach den Gedanken nicht aus und sagte: »Ich bin froh, dass du mir alles erzählt hast. Es war sicher nicht leicht für dich. Wenn ich deine Nase operiere, wird es ebenfalls nicht leicht für dich werden, das solltest du wissen. Die Korrektur einer verstümmelten Nase ist eine langwierige Prozedur, sie dauert Monate. Wer sie überstehen will, muss großen Willen und viel Geduld mitbringen. Und er muss Schmerzen ertragen können. Traust du dir das zu?«
»Große Schmerzen, Herrin?«
»Es wäre zwecklos, darum herumreden zu wollen, ja.«
»Oh, Herrin, ich glaube, meine Entstellung ist doch nicht so schlimm, wie ich immer annahm.«
»Dann ist es ja gut. Geh jetzt wieder an deine Arbeit.«
Am nächsten Tag schien Latif tief in Gedanken versunken zu sein. Er strich um mich herum wie eine Katze um den heißen Brei, und als ich ihn fragte, was mit ihm los sei, antwortete er: »Ich habe die Sache mit der Operation noch einmal überschlafen, Herrin. Ich glaube, ich würde sie wagen, wenn ich wüsste, wie groß die Schmerzen sind, die mich erwarten.«
»Das kann dir niemand genau beantworten. Aber wenn du willst, erzähle ich dir etwas über die Tücken des Schmerzes.«
»Ja, Herrin, das wäre vielleicht von Vorteil.«
Ich legte meine Näharbeit zur Seite und sagte: »Der Schmerz ist ein
phaenomenon,
das die Gelehrten bis heute nicht richtig verstehen, denn er ist weder sichtbar noch tastbar, hörbar oder riechbar, und dennoch gibt es ihn ganz zweifellos. Gewöhnlich geht er mit einer Verletzung einher. Es gibt aber auch Schmerzen, die ohne erkennbaren Grund ständig vorhanden sind oder nur von Zeit zu Zeit auftreten – wie der bohrende Kopfschmerz. Manche Wissenschaftler jedoch bestreiten, dass es sich dabei um echten Schmerz handelt, sie behaupten, wahre Pein setze das Vorhandensein einer Wunde voraus. Ich gehöre nicht zu dieser Gruppe. Fest steht, dass der Schmerz vielfältig ist und sehr von der Persönlichkeit des Gepeinigten abhängt. Er kann dumpf, spitz, stechend, wild oder brennend sein. Er gelangt, so die Meinung vieler Gelehrter, vom Ort der Verletzung über die Fäden der Nerven zur Zirbeldrüse im Gehirn. Der Vorgang ist vergleichbar mit der Arbeit des Küsters im Kirchturm: In dem Augenblick, wo er am Seil zieht, ertönt am anderen Ende die Glocke.«
Latif nickte. Er hatte mir wie gebannt zugehört. »Und je schlimmer die Wunde, desto heftiger das Geläute, Herrin?«
»So ungefähr. Ich allerdings glaube nicht an diese
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