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Die Medica von Bologna / Roman

Die Medica von Bologna / Roman

Titel: Die Medica von Bologna / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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zieht.«
    »Das Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht? Was ist das für ein seltsamer Satz?«
    »Es ist ein arabisches Sprichwort, Herrin. Es bedeutet, dass alles seine Zeit braucht. Im Abendland gibt es einen ähnlichen Spruch, ich glaube, er heißt: Gut’ Ding will Weile haben. Der Gedanke, der darin liegt, ist von großer Weisheit, nur war ich dumm genug, ihn zum falschen Zeitpunkt der Haseki gegenüber auszusprechen. Meine Äußerung war in höchstem Maße
haram,
was so viel wie ›verboten‹ oder ›unzulässig‹ bedeutet. Umso mehr, als mir der Satz bei einem öffentlichen Auftritt der Haseki entschlüpfte, und einige der Umstehenden ihn hörten und hinter der vorgehaltenen Hand kicherten.«
    Latif unterbrach sich, schnaufte und trank einen großen Schluck Wasser, um sich den Gaumen anzufeuchten.
    »Nimm ruhig von meinem Wein«, sagte ich freundlich. »Wein löst die Zunge besser als Wasser, besonders bei heiklen Themen.«
    »Nein, Herrin, keinen Wein! Als Muslim ist es mir verboten, Alkohol zu trinken. Ich will lieber weitererzählen. Nun, nach meiner unerhörten Entgleisung geschah zunächst nichts. Ein paar Tage dachte ich, ich würde ungestraft davonkommen, aber natürlich hatte ich mich geirrt, denn die Haseki rächte sich grausam. Allerdings tat sie es nicht selbst, sondern schickte dazu zwei ihr besonders vertraute Handlanger vor. Es waren die von mir schon erwähnte Afet, eine der Lieblingskonkubinen des Sultans, und der Kizlar Ağası, der Oberste der Schwarzen Eunuchen. Beide stellten mir eine Falle, in die ich blindlings hineintappte. Drei Tage nachdem ich mir die unziemliche Bemerkung gegenüber der Haseki erlaubt hatte, richtete Afet es so ein, dass ich ihr nach einem Schönheitsbad die Arme mit Rosenöl einreiben musste. Das war nichts Ungewöhnliches, denn ich tat es jeden Tag, doch müsst Ihr wissen, dass es sehr unterschiedliche Qualitäten bei Rosenöl gibt, und an diesem Tag sollte ich das kostbarste Öl verwenden, das es im gesamten Palast gibt. Es wird nur aus blutroten Rosen gewonnen, und viele Wagenladungen extra verlesener Blüten sind notwendig, um wenige Tropfen daraus zu gewinnen. Mit entsprechender Ehrfurcht benutzte ich das Öl. Während ich es behutsam in Afets zarte Haut einmassierte, erschien der Kizlar Ağası und meldete, der Sultan wünsche die Konkubine Afet zu sprechen. Afet verneigte sich in Ehrfurcht und kam dem Befehl umgehend nach. Im Hinausgehen gebot sie mir, das kostbare Öl in ihr Schlafgemach zu tragen, wo ich auf sie warten sollte.
    Ich nahm also das Öl in seinem goldenen Behältnis und trug es in ihr Schlafgemach. Dort angekommen, wies mich einer ihrer Diener an, es in den Gesellschaftsraum der Konkubinen zu bringen. Wieder gehorchte ich und musste das Öl von dort in die Lagerräume für Öle, Salben und Essenzen tragen. Von dort ging es abermals weiter und dann noch einmal und noch einmal. Es war wohl das, was Ihr eine Odyssee nennen würdet, nur war es mir keineswegs bewusst, obwohl ich mich mehr und mehr wunderte. Meine Reise endete schließlich vor einem der großen Zufahrtstore, wo der Kizlar Ağası zu meiner Überraschung auf mich zutrat. ›Wo willst du so eilig hin, Latif?‹, fragte er zuckersüß. ›Du willst doch nicht etwa unerlaubt das Palastgebiet verlassen?‹
    Spätestens zu diesem Zeitpunkt ahnte ich, dass man mir übel mitspielen wollte. Hastig verneinte ich und stammelte etwas von einem Irrweg durch die verschiedenen Gebäude, doch der Kizlar Ağası schien meine Worte gar nicht zu hören, sondern fragte: ›Was trägst du da für ein goldenes Gefäß unter dem Gewand?‹
    Ich erklärte, es sei das Salböl von Afet, und begann aufs Neue, mich zu rechtfertigen, aber der Kizlar Ağası schüttelte den Kopf und sagte: ›Niemals zuvor habe ich so dreiste Lügen gehört. Ich will dir sagen, was passiert ist: Du hast das kostbare Öl gestohlen, wolltest es aus dem Palast schmuggeln und im Bazar verkaufen, um dein Pantoffelgeld aufzubessern. Schande über dich, du bist es nicht wert, ein Diener der edlen Afet zu sein! Wache!‹
    Sofort waren zwei grimmig aussehende Palastsoldaten zur Stelle, packten mich und warfen mich in den tiefsten Kerker des Palastes. Ich schrie und heulte, ich schwor, ich sei unschuldig, doch sie lachten nur und sperrten hinter mir ab. Da saß ich nun in einem lichtlosen, kalten Raum und hämmerte in meiner Verzweiflung gegen die Wände, doch die Einzigen, die mein Flehen hörten, waren die Ratten.
    Ich will

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