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Die Medica von Bologna / Roman

Die Medica von Bologna / Roman

Titel: Die Medica von Bologna / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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und verabschiedete mich bald darauf. Im Hinausgehen hörte ich ihn nochmals brummen: »In der Tat, sehr ungewöhnlich, das Instrument, sehr ungewöhnlich.«
     
    Über die sechs Akte, die ich im Rahmen der Rekonstruktion an Latif vornahm, gibt es nicht viel zu berichten, außer, dass mein Diener sich überraschend tapfer zeigte. Das von mir befürchtete Jammern und Stöhnen über die Beschwerlichkeiten der Behandlung blieb weitgehend aus. Latif thronte wie ein mächtiger Buddha in seinem Bett, trug die extra-verstärkte Kapuzenweste mit großer Würde und sagte: »Der kleine Giancarlo wird kaum merken, dass ich eine neue Nase habe, nicht wahr, Herrin?«
    »Er wird, wie alle Säuglinge, in der ersten Zeit nur Wärme, Milch und Geborgenheit suchen«, gab ich lächelnd zur Antwort, »später aber wird ihm in deinem Gesicht nichts Ungewöhnliches auffallen. Wenn alles gutgeht, natürlich.«
    »Meint Ihr, dass es so sein wird, Herrin, obwohl ich nicht in der Lage bin, meinen Teppich auszurollen und die vorgeschriebenen Gebete zu sprechen?«
    »Immerhin habe ich dein Bett nach Mekka ausgerichtet und deinen Teppich am Fußende ausgebreitet.«
    »Das habe ich Allah auch erklärt.«
    »Es wird schon alles gut werden.«
    Eine Schwierigkeit allerdings ergab sich zu Anfang des Zweiten Aktes, als Latif das Bett nicht mehr verlassen durfte und kurz danach ein menschliches Regen verspürte. Es war eine Situation, wie ich sie tausendmal im Hospital der frommen Schwestern erlebt hatte, weshalb ich kein Aufhebens darum machte, sondern einen flachen, metallenen Topf holte, ihn mit einiger Mühe unter seinen Leib schob und den Raum verließ, um etwas anderes zu erledigen. Später kam ich zurück, holte den Topf hervor und sah, dass er noch leer war.
    Latif saß da und kullerte mit den Augen.
    »Nanu«, sagte ich, »brauchst du ein purgierendes Mittel? Das wäre nicht weiter schlimm. Jeder kann einmal Verstopfung haben.«
    »Das ist es nicht, Herrin.«
    »Was denn?«
    Latif, sonst selten um ein Wort verlegen, druckste herum.
    »Nun sag schon.« Ich gab mich betont forsch und fügte hinzu: »Vergiss, dass ich deine Herrin bin, denk einfach, ich wäre die Schwester, die dich pflegt.«
    »Ja, Herrin«, sagte er leise. »Könntet Ihr mir mein Schilfrohr holen?«
    »Dein Schilfrohr? Ich wusste gar nicht, dass du so etwas besitzt. Wofür brauchst du den Halm denn?«
    »Bringt ihn mir einfach, Herrin. Bitte.«
    Kopfschüttelnd verließ ich den Raum und fand nach einigem Suchen das Gewünschte. Latif nahm es sichtlich erleichtert entgegen und bat mich, vor die Tür zu gehen. Ich hatte Verständnis für sein Schamgefühl, doch machte es nicht viel Sinn, denn die Produkte seines Stoffwechsels würde ich früher oder später ohnehin zu sehen bekommen. Aber ich sagte nichts.
    Nach ein paar Tagen fiel mir das Schilfrohr wieder ein, und ich fragte Latif: »Was wolltest du eigentlich mit dem Halm neulich?«
    »Ach, nichts, Herrin.«
    »Nichts? Komm schon, was ist damit? Ein Patient darf keine Geheimnisse vor seinem Arzt haben.«
    »Ich, ich …«
    »Ja?«
    »Ich bin Eunuch, wie Ihr wisst.«
    Das war in der Tat keine Neuigkeit für mich, aber ich schwieg und ließ Latif Zeit.
    »Wir Eunuchen sind alle kastriert, Herrin.«
    »Ja, natürlich.« Auch das war mir bekannt. Die Kastration bestand, soviel ich wusste, im Entfernen der Hoden. Was das mit dem Schilfrohr zu tun haben sollte, verstand ich nicht.
    »Ich … ich brauche den Halm zum Wasserlassen.«
    Ich verstand noch immer nicht.
    Latif kämpfte mit sich, dann sagte er: »Irgendwann werdet Ihr es ja doch erfahren, Herrin. Also kann ich es auch gleich sagen. Bei mir … ist da unten nichts mehr. Gar nichts. Man hat bei der Kastration alles entfernt, sozusagen mit Stumpf und Stiel. Deshalb brauche ich zum Wasserlassen das Schilfrohr.«
    Ich war schockiert und zugleich seltsam berührt. Niemals hätte ich gedacht, dass mein flinkzüngiger Diener unter einem so menschenunwürdigen Problem litt. Ich suchte nach Worten, um ihm über die Verlegenheit hinwegzuhelfen, aber mir fiel nichts ein. Schließlich sagte ich: »Meine Rubinseite und meine Kristallseite machen mir auch Kummer. Ich weiß nicht, ob ich es dir erzählt habe, aber es gab eine Zeit, in der ich sie regelmäßig mit Bleiweiß abdeckte, um in der Öffentlichkeit nicht aufzufallen. In den letzten Tagen jedoch jucken beide Gesichtshälften so stark, als hätte ein Schwarm Mücken mich gestochen.«
    »Und Ihr meint, das rührt von diesem

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