Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Medica von Bologna / Roman

Die Medica von Bologna / Roman

Titel: Die Medica von Bologna / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
Vom Netzwerk:
Bleiweiß her?«
    »Ich vermute es. Bleiweiß ist giftig, es könnte sich um eine Nachwirkung handeln.«
    »Wusstet Ihr das denn nicht vorher, Herrin?«
    »Doch, schon. Um offen zu sein, habe ich es auch wegen Doktor Tagliacozzi benutzt.«
    »Dieser abscheuliche Mann! Allah gebe, dass ihm die Hand abfalle. Ihr tut mir sehr leid, Herrin, aber als Ärztin wisst Ihr doch sicher ein Mittel gegen den Reiz?«
    »Talkum soll sich bewährt haben, aber ich habe im Augenblick keines.«
    Latif überlegte. Plötzlich begann sein Gesicht zu strahlen. »Doch!«, rief er. »Ihr habt mir erzählt, dass Ihr Eure goldene Maske mit Talkum eingerieben habt, damit sie verträglicher für die Haut ist. Ihr solltet sie tragen.«
    »Ich weiß nicht.«
    »Bitte, Herrin, tut es. Ihr würdet gleichzeitig mein Herz erfreuen, denn wie Ihr Euch bestimmt erinnert, ist die Maske ein Geschenk von mir.«
    »Nun gut, ich will es versuchen.«
     
    Fortan trug ich die Maske, zunächst aus den genannten Gründen, später, als der Juckreiz nachließ, weil ich mich mehr und mehr an sie gewöhnte. Ein Scherz kam zwischen Latif und mir auf, denn jedes Mal, wenn ich in der Früh an sein Bett trat, sagte er: »Guten Morgen, liebe Venus!«
    Es war eine Anrede, die einem Diener eigentlich nicht zustand, aber unser Verhältnis war seit meiner Schwangerschaft sehr viel vertrauter geworden, und deshalb hatte ich nichts dagegen. Außerdem war Latif der einzige Mann, mit dem ich Kontakt hatte, und es tat mir gut, täglich ein kleines Kompliment zu hören.
    »Guten Morgen, liebe Venus!«, sagte er einmal während des dritten Behandlungsaktes zu mir. »Wie geht es Euch und dem kleinen Giancarlo?«
    »Giancarlo geht es gut, nur scheint er auf das Schlafbedürfnis seiner Mutter nicht viel Rücksicht nehmen zu wollen, denn nachts ist er besonders lebhaft. Er stößt und rumpelt so sehr in meinem Bauch, dass ich häufig kaum Ruhe finde.«
    »Soll ich mal mit ihm reden, Herrin?«
    Ich lachte. »Meinst du, das hilft?«
    Latif blickte verschmitzt. »Wer weiß, Giancarlo und ich verstehen uns gut. Seinetwegen habe ich auch versucht abzunehmen. Ich möchte nicht, dass er vor einem so großen, dicken Mann wie mir Angst bekommt.«
    Ich staunte. »Du hast abgenommen? Wo denn?«
    »Ich habe es versucht, Herrin, und der Versuch ist noch nicht abgeschlossen. Wenn es Allah gefällt, werde ich demnächst schlanker sein. Allerdings hat es ihm bisher noch niemals gefallen, mich schlanker zu machen, trotz meiner zahllosen Bemühungen.«
    »Warst du schon immer so dick?«
    »Bewahre, Herrin! Als Kind war ich gertenschlank und hatte eine Haut wie Rahm. Vielleicht ist es Allah entgangen, dass ich im Yeni Sarayı über viele Jahre hinweg die Speisen des Sultans vorkosten musste. Das war noch zu Zeiten Selims II ., des ›Trunkenen‹, wie er richtigerweise genannt wurde. Seine größte Sorge war, im Rausch vergiftet zu werden. Deshalb ließ er immer ein Dutzend Vorkoster probieren, bevor er den ersten Bissen zu sich nahm. Um ganz sicherzugehen, waren darunter Männer und Frauen jeden Alters, aber auch Kinder. Eines der Kinder, die alle nur ›Taygun‹, also ›Kind‹, gerufen wurden, war ich.«
    »Und weiter?«, fragte ich.
    »Nun, Herrin, seitdem bin ich, äh, so korpulent, trotz meiner vielen Bemühungen, abzunehmen. Denn wer einmal von stattlichem Gewicht ist, der bleibt es sein Leben lang. Da mag er so wenig essen, wie er will.«
    »Heißt das, du willst für alle Zeiten so dick bleiben?«
    »Oh, nein, Herrin, das nun auch wieder nicht. Gleich morgen will ich mit einer Hungerkur beginnen.«
     
    Natürlich nahm Latif kein einziges Gran ab, was ihn aber nicht weiter zu belasten schien, im Gegenteil, er war stets ausgesprochen guter Laune, denn die Zeit der Schmerzen war weitgehend vorbei und der Heilungsverlauf sehr zufriedenstellend. Umso überraschter war ich, als er am Morgen vor dem Vierten und Fünften Behandlungsakt mit Grabesstimme »Guten Morgen, Herrin« zu mir sagte, und das, obwohl ich meine Maske trug.
    »Wo bleibt deine übliche Begrüßung?«, fragte ich.
    »Guten Morgen, liebe Venus«, verbesserte er sich. Doch er leierte die Worte herunter wie ein Schüler, der ein Gedicht aufsagt.
    »Was ist los?«, fragte ich. »Hast du schlecht geschlafen?«
    »Nein.«
    »Hast du Schmerzen?«
    »Nein.«
    »Hast du Hunger?«
    »Nein, nein, Herrin. Es ist nichts.«
    Ich setzte mich zu ihm auf die Bettkante und tat erst einmal das, was ich immer frühmorgens tat: Ich prüfte den Sitz der

Weitere Kostenlose Bücher