Die Medica von Bologna / Roman
Vertraulichkeiten zu. Sie waren mir nicht unangenehm, doch ich hatte mir vorgenommen, alles, was darüber hinausgehen würde, mit Entschiedenheit abzulehnen. Ich sagte mir, dass ich dies Latif schuldig sei.
Doch einen solchen Versuch gab es nie, was mich wiederum fast enttäuschte. Ich horchte in mich hinein, um mich selbst zu verstehen. Ich wollte wissen, wie es um mich stand, aber ich fand keine Antwort. Es war ein eigentümlicher Schwebezustand, in dem ich mich in jenen Jahren befand.
Die vielfältige Lektüre hatte in mir, ohne dass es mir anfangs klarwurde, immer mehr den Wunsch geweckt, wieder nach Bologna zurückzukehren, alles zurückzulassen, auch Sebastiano, den ungewöhnlichen, verwunderlichen Priester. In Bologna, das wusste ich, würden sich mir viel mehr Möglichkeiten bieten, zu lesen und zu arbeiten. Vielleicht sogar bei Conor, dem Bettlerkönig, und seinen Freunden.
»Latif«, sagte ich eines Abends, »es hält mich nicht mehr in dieser Höhle. Sie ist mir zwar ein Hort der Geborgenheit geworden, aber mein wahres Zuhause ist Bologna.«
»Wollt Ihr mich verlassen, Herrin?«, fragte mein Diener. Er war gerade dabei, Fische aus dem Bach über Buchenholz zu räuchern, und blickte nicht einmal auf, als er mir antwortete.
»Wenn ich gehe, gehst du natürlich mit«, sagte ich.
»Ist das wirklich so natürlich?« Er wandte sich mir zu und schaute mich traurig an. »Wäre es nicht naheliegend, dass Ihr mit diesem Priester geht? Er verbringt mittlerweile mehr Zeit mit Euch als ich.«
»Bist du etwa eifersüchtig auf Sebastiano?« Meine Stimme klang amüsiert.
»Ja, Herrin.«
Das war eine Antwort, die ich nicht erwartet hatte. Ich schluckte. Zum ersten Mal dämmerte es mir, wie viel Latif wirklich für mich empfand. »Nun ja, es ist aber so, dass ich mit dir zurückgehen möchte. Sebastiano hat seine Pfarre hier. Ich werde mich von ihm verabschieden, und du und ich, wir gehen nach Bologna zurück. Ich denke, die Inquisition hat mittlerweile ihr Interesse an mir verloren. Vielleicht treffen wir sogar Conor und seine Freunde wieder. Es war eine schöne Zeit, damals. Erinnerst du dich?«
»Wie könnte ich mich nicht daran erinnern, Herrin!« Langsam verwandelte sich Latifs Gesicht zu einem strahlenden Vollmond.
»Du bist und bleibst doch mein Latif. Kommst du nun mit?«
»Ja, Herrin, ich komme mit. Oh, wie ich mich freue! Wir gehen zusammen zurück nach Bologna. Darf ich Euch küssen?«
Ich schwankte einen Augenblick, dann sagte ich: »Lass uns erst einmal packen.«
Drei Tage dauerten unsere Vorbereitungen, und an jedem dieser Tage versuchte ich, Sebastiano zu treffen. Ich forschte nach ihm am Bach und im Buchenhain und wieder am Bach, aber er kam nicht, was nicht weiter verwunderte, denn er wusste ja nichts von meinen Reiseplänen. Am dritten Tag konnte ich unseren Abmarsch nicht weiter hinauszögern. Wir ließen die Ziegen frei und machten uns auf den Weg. Es ging den Fluss entlang hinunter ins Tal, Richtung Casali, und von dort weiter nach Forcella. Im Gegensatz zu früher benutzten wir feste, ausgetretene Wege, denn wir fürchteten uns nicht mehr vor Entdeckung. So war es nicht weiter überraschend, als uns am Nachmittag Tasco mit seinem Grautier Bocco begegnete.
»He, ihr zwei!«, rief er. »Wohin des Wegs?«
»Wir wollen nach Bologna«, sagte ich.
»Nach Bologna? Ihr macht Witze!«
»Nein, wieso?«, fragte Latif.
Tasco blickte uns entsetzt an. »Ja, wisst ihr es denn nicht?«
»Was wissen wir nicht?« Ein ungutes Gefühl beschlich mich.
»In Bologna herrscht eine gewaltige Seuche! Sie soll noch schlimmer wüten als anno 1348 die Pest, bevor sie über die Alpen nach Norden zog. An eurer Stelle würde ich überall hinfahren, nur nicht nach Bologna.«
Ich musste daran denken, dass ich schon einmal einer großen Seuche die Stirn geboten und überlebt hatte. Zusammen mit Maurizio, meinem väterlichen Freund in Venedig. Ob er noch lebte? In Venedig jedenfalls war es gewesen, dass Latif mir zum ersten Mal über den Weg lief. Wie viel Zeit seitdem vergangen war! Damals hatte mich nichts schrecken können, ich war jung und stark. Jetzt kam ich mir alt und schwach vor.
»Herrin, ich glaube, es wäre nicht klug, nach Bologna zu gehen.« Latif kullerte mit den Augen. »Allah, der Zürnende, der Gerechte, hat die Stadt strafen wollen, und wer sich ihr nähert, wird selbst bestraft werden.«
»Vielleicht hast du recht«, sagte ich. »Die Wege des Herrn sind unergründlich.«
Wir machten auf
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