Die Medica von Bologna / Roman
jetzt gehen. Es wartet noch viel Arbeit auf mich.«
Es stand dem jungen Gottesmann ins Gesicht geschrieben, dass er gern weitergeplaudert und mehr über mich und Latif erfahren hätte, aber er fragte nicht, sondern sagte, sich ebenfalls erhebend: »Dann Gott befohlen, Maria, und vielleicht auf ein baldiges Wiedersehen.«
»Gott befohlen, Sebastiano.«
Rasch lief ich davon.
Am Abend dieses besonderen Tages lag ich in meiner Höhle, dachte an Sebastiano, den ungewöhnlichen Gottesdiener, rief mir jedes einzelne Wort unseres Gespräches ins Gedächtnis und stellte fest, dass meine Sehnsucht nach Bologna sehr viel kleiner geworden war.
Ebenso wie ich feststellte, dass ich nicht wieder zum Bach gehen durfte.
Mehr als drei Jahre sollten vergehen, bis ich Bruder Sebastiano durch Zufall wiedersah. Es war an einem Berghang, wo er in einem Buchenhain rastete. Man schrieb Ende September, und ich nutzte die Jahreszeit, um Bucheckern zu sammeln. Sie stellten eine wichtige Nahrungsquelle für Latif und mich dar, zumal es uns gelungen war, aus den Nüssen ein Öl zu pressen, das sich sowohl zum Kochen wie auch als Lampenöl einsetzen ließ.
Abermals war er es, der mich entdeckte. »Werdet Ihr ihn diesmal zurücknehmen?«, fragte er.
Ich schreckte hoch und sah ihn zwischen den Bäumen stehen, nicht weiter als zehn Schritte entfernt.
»Werdet Ihr ihn diesmal zurücknehmen?«, wiederholte er und hielt mir den Wanderstab entgegen wie ein Geschenk.
»Ich hatte Euch schon gesagt, dass wir ihn nicht brauchen«, erwiderte ich. Meine Stimme klang abweisender, als ich wollte. Vielleicht lag es daran, dass ich es nicht vermocht hatte, ihn zu vergessen – ihn und seine ungewöhnliche Art. Er war ein junger, gutaussehender Mann, der im Zölibat lebte, und ich war weit über dreißig Jahre alt – zu alt für unkeusche Gedanken.
»Ja, ich erinnere mich gut.« Er stand auf und kam zu mir herüber. »Ich habe seitdem oft an unser damaliges Gespräch gedacht, Maria.«
Ich auch, wollte ich sagen, doch ich beherrschte mich und fuhr fort, Bucheckern aufzulesen.
Sebastiano schien meine abweisende Haltung nicht zu bemerken; wie selbstverständlich trat er neben mich und begann, mir beim Sammeln zu helfen. Ein seltsames Gespräch entspann sich daraufhin zwischen uns, ein Gespräch, wie ich es niemals zuvor erlebt hatte. Es fand in gebückter Haltung statt, suchend und sammelnd, geprägt von meiner unausgesprochenen Sympathie für ihn. »Ihr braucht mir nicht zu helfen«, sagte ich.
»Ich will es aber«, antwortete er, und nach einiger Zeit fügte er hinzu: »Wenn Ihr den Stab nicht zurücknehmt, werde ich noch heute meinen Namen hineinritzen.«
»Das steht Euch frei, schließlich gehört er Euch.«
»Das stimmt.« Er warf eine Handvoll Bucheckern in meinen Sammelkorb. »Er ist mein, doch wenn der Bischof mich abriefe aus San Martino, würde ich mich von ihm trennen und ihn am Bach niederlegen, dort, wo wir uns beim letzten Mal gesehen haben.«
»Ihr werdet abgerufen? Wann denn?«
Er lachte. »So weit ist es noch nicht. Vielleicht passiert es sogar nie, weil ich, wie Ihr wisst, in vielen Dingen kein Blatt vor den Mund nehme und man mich deshalb lieber abgeschoben weiß. Aber nehmen wir einmal an, es wäre so: Dann könntet Ihr den Stab am Ufer finden und hättet eine Erinnerung an mich.«
Mein Herz pochte schneller bei seinen Worten. Ich gestand mir ein, dass sein Fortgehen mich betrüben würde. Aber ich sagte nichts und sammelte weiter.
»Wäret Ihr traurig, wenn ich ginge, Maria?«
»Gottes Botschaft muss nicht unbedingt durch den Mund eines Predigers verkündet werden«, antwortete ich ausweichend. »Sie findet sich in jeder Pflanze, die wächst, und in jedem Vogel, der fliegt.«
»Oh, das habt Ihr schön gesagt! Das Gleichnis gefällt mir. Schon im elften Psalm der Heiligen Schrift heißt es: ›Flieh wie der Vogel auf die Berge.‹ Nun, Maria, ich will Euch nicht fragen, von wo Ihr kommt und ob Ihr in diese Berge geflohen seid, denn ich weiß, dass ich keine Antwort bekäme. Aber da ich gerade von der Heiligen Schrift spreche: Habt Ihr ein Exemplar, in dem Ihr zur täglichen Erbauung lesen könnt?«
»Nein, ich habe keines.«
»Das ist schade. Die Bibel ist für den Christen so wichtig wie das tägliche Brot. Ich werde eine an dieser Stelle niederlegen, gut verpackt gegen Wind und Wetter. Ihr könnt sie Euch bei Gelegenheit holen.« Er hielt inne und blickte mich an. »Glaubt mir, ich würde sie Euch gern persönlich
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