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Die Medica von Bologna / Roman

Die Medica von Bologna / Roman

Titel: Die Medica von Bologna / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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kostbaren Perlentrank ein und hoffte, das Fieber würde sinken.
    Es sank nicht.
    Gegen Morgen endlich hatte sie wieder ein paar klare Momente. »Carla, meine Kleine«, flüsterte sie, »ich mache dir Kummer, wie? Aber das will ich nicht, Gott ist mein Zeuge.«
    »Du darfst nicht so viel sprechen, Mamma, du brauchst die Kraft, um gesund zu werden.«
    Sie antwortete nicht. Aber nach einer Weile sprach sie weiter: »Jakobus«, flüsterte sie, »Jakobus …«
    Ich dachte, sie würde schon wieder im Fieberwahn reden, und benetzte ihr die trockenen Lippen mit einem feuchten Schwamm, aber dann erkannte ich, dass sie bei sich war, denn sie sagte mit klarer Stimme: »Die heiligen Worte aus der Epistel des Jakobus haben sich mir durch die Krankheit erschlossen, sie lauten:
Wer aber sich im Spiegel beschauet hat, gehet von Stund an davon und vergisset, wie er gestaltet war
. Denk immer daran, meine Kleine. Versprich mir, in den Spiegel zu sehen.«
    »Ja, Mamma«, sagte ich und wusste, dass ich es nicht tun würde.
    »Und wenn du in den Spiegel siehst, sage laut und deutlich
abiuro.
Du weißt doch noch, was das bedeutet?
    »Ich fürchte, nein, Mamma.«
    »Es bedeutet: Ich schwöre ab.«
    »Ja, Mamma.«
    »Ich habe dafür gebetet, oh, wie habe ich dafür gebetet, dass du abschwören kannst, wenn es so weit ist. Unzählige Male habe ich den Allmächtigen angefleht, dass er dir die Kraft dazu geben möge, und ich musste es immer ohne einen seelischen Beistand tun, denn es wird gesagt, für die innigste Zwiesprache mit dem Herrn sei der Mensch allein, sonst wird er nicht erhöret werden …« Sie hielt erschöpft inne und hob dann schwach ihre Hand, damit ich sie nehme. Dann sprach sie weiter: »Wie groß war immer meine Angst, in deinem Leib könne sich eine Hexe einnisten, eine jener schrecklichen Halbfrauen aus dem Kreise der Zaunreiterinnen, Teufelsbuhlerinnen und Weidlerinnen, aber dank meiner Gebete und dank der Gnade des Herrn bist du bis zum heutigen Tag rein.«
    »Ja, Mamma.« Ich fand, es sei genug mit ihren aberwitzigen Ausführungen, die ich zur Genüge kannte, und schob ihre Hand zurück unter die Decke. »Schlafe jetzt ein wenig, Mamma.«
    Sie antwortete nicht, aber wenig später merkte ich an ihren Atemzügen, dass sie in einen unruhigen Schlummer gefallen war.
     
    Der Tag zog grau herauf, als sie wieder wach wurde. Ich blickte ihr in die Augen und sah, dass sie bei sich war. »Brauchst du etwas, Mamma? Du hast gestern fast nichts gegessen, ich habe noch ein wenig von der Hühnersuppe, möchtest du davon?«
    Sie schüttelte den Kopf. Es war eine so schwache Bewegung, dass ich sie kaum wahrnahm.
    »Ich … ich …«, wisperte sie.
    »Ja, Mamma?« Ich beugte mich zu ihr hinab, um sie besser verstehen zu können.
    »Ich … werde sterben.«
    »Nein!«
    »Hole … Hochwürden …«
    Abermals wollte ich »nein« rufen, denn mit »Hochwürden« meinte sie niemand anderen als Pater Edoardo, aber ich beherrschte mich. Es konnte nicht gut sein, einer Schwerkranken eine so wichtige Bitte abzuschlagen. Andererseits sträubte sich alles in mir, auf die Straße zu gehen, mehr noch, Pater Edoardo gegenüberzutreten schien mir geradezu unmöglich. Da näherten sich Schritte. Ich hoffte, es würde Marco sein, denn ihn konnte ich bitten, den Gang für mich zu erledigen. Aber es war Doktor Valerini. »
Buongiorno,
ich hoffe, es geht unserer Patientin besser«, sagte er.
    »Sie hat nach dem Priester gefragt, Dottore.«
    »Oh, hat sie das?« Er zog die Brauen hoch. »Nun, macht Euch nicht so viele Gedanken, Signorina. Das kommt bei Kranken häufig vor, und beileibe nicht alle sterben danach. Habt Ihr Eurer Mutter weiter von dem Perlentrank gegeben?«
    »Ja, aber er geht zur Neige. Was ich Euch fragen wollte, Dottore …«
    »Ja, Signorina?«
    »Die Brosche von meiner Mutter, äh, sie hat doch drei Perlen, und eine habt Ihr erst verbraucht. Ich meine, wenn Ihr keine weitere Perle benötigt, hätte ich die Brosche gern zurück.«
    »Aber natürlich.« Doktor Valerini wirkte sehr konzentriert, während er meiner Mutter den Puls fühlte. »Natürlich, natürlich. Wie steht es mit dem
laudanum,
Signorina, habt Ihr noch davon?«
    »Nur ganz wenig, Dottore.«
    »Dann gebe ich Euch etwas. Wir wollen ja vermeiden, dass unsere Patientin Schmerzen leidet, nicht wahr?«
    »Gewiss, Dottore.«
    Er gab mir eine kleine Menge von der Tinktur und sagte: »Mehr kann ich im Augenblick nicht tun, wir müssen Geduld haben.« Dann stülpte er sich

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