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Die Medica von Bologna / Roman

Die Medica von Bologna / Roman

Titel: Die Medica von Bologna / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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müssen wieder in Einklang kommen.«
    »Ja, Dottore«, sagte ich und fragte mich, wie das geschehen solle.
    »Ihr habt nicht zufällig eine echte Perle im Haus?«
    Ich zögerte. Meine Mutter besaß noch von früher eine Brosche aus blauem Topas mit drei goldenen Blumen, die sie
Fleur-de-lis
nannte. Im Mittelpunkt jeder Blume saß eine mattschimmernde Perle. Die Brosche war das Wertvollste, was sie besaß. »Was wollt Ihr mit der Perle, Dottore?«
    »Nun, Signorina, die echte Perle ist das teuerste, aber auch wirksamste fiebersenkende Mittel, das die Wissenschaft kennt. Solltet Ihr eine haben, könnte ich sie pulverisieren und mit den Extrakten des Ampfers und einigen anderen Kräutern zu einem hochwirksamen Trank verkochen.«
    »Wartet bitte, Dottore.« Ich hatte mich entschlossen, ihm die Brosche zu geben. Was ist schon der Wert einer Perle gegen den Wert eines Menschenlebens, dachte ich. Ich verschwand und kam mit der Preziose zurück. »Würde eine dieser Perlen sich eignen?«
    Doktor Valerini stieß einen Pfiff aus, in dem Bewunderung lag. »Welch schönes Blumenmotiv! Es kommt mir vor, als hätte ich es schon einmal irgendwo gesehen. Nun, sei es, wie es sei, eine der drei runden Kostbarkeiten wird sicher ihren Dienst tun. Gebt mir die Brosche nur mit, ich sorge dafür, dass eine der Perlen herausgelöst und pulverisiert wird.«
    »Natürlich, Dottore.«
     
    Es dauerte bis zur Dämmerung, bis er wieder auftauchte. »Ich habe alle notwendigen Ingredienzen und auch das Perlenpulver zusammengerührt«, sagte er munter. »Ich muss den Trank nur noch über Eurem Feuer erhitzen.«
    »Jawohl, Dottore, bitte folgt mir.« Während ich ihn in die Küche zur Kochstelle führte, erkundigte er sich nach dem Zustand meiner Mutter.
    »Ich glaube, unverändert, Dottore.«
    »Nun, wir werden sehen.« Doktor Valerini brachte den Trank zum Sieden und nahm ihn kurz danach vom Feuer. »Eine zu lange Kochzeit zerstört die Kraft des Perlenpulvers.«
    »Ja, Dottore.« Ich überlegte, ob er alle drei Perlen verwendet hatte und wo der Rest der Brosche geblieben sei, mochte aber nicht fragen. Angesichts des Zustands meiner Mutter erschien mir das kleinlich.
    »Dann wollen wir mal.« Er ging mit dem brühheißen Trank zum Krankenbett und nahm die Untersuchungen vor, die ich schon kannte. »Leider noch keine Verbesserung. Hat Eure Mutter häufig Wasser gelassen?« Er prüfte die Menge im Nachtgeschirr.
    »Drei- oder viermal, Dottore. Auch von dem
laudanum
musste ich ihr geben. Sie trinkt viel, wenn sie wach ist.«
    »Man sieht es an der Farbe des Urins. Sehr blass. Mit dem Urin ist es so eine Sache, Signorina: Die Uroskopie, wie die Wissenschaft die Harnschau nennt, kann bei der Diagnose einer Krankheit nicht hoch genug eingeschätzt werden. Man unterscheidet insgesamt ungefähr zwei Dutzend verschiedene Harnfarben, von quellwasserhell über milchig weiß, himbeerrot, tannengrün bis hin zu taubengrau. Wir sprechen von dünnflüssigem, mittelflüssigem und dickflüssigem Harn und teilen die Flüssigkeitssäule in drei Zonen ein – die obere, die mittlere und die untere. Je nachdem, wo sich bestimmte Substanzen wie Bläschen, Tröpfchen, Wölkchen, Flöckchen
et cetera
absetzen, sind sie Anzeichen dafür, was dem Patienten fehlt. Im Falle Eurer Mutter signalisiert der Harn eine starke
inflammatio,
gepaart mit dunklem
pus.
«
    Ich schaute ihn verständnislos an.
    »Oh, verzeiht, Ihr seid des Lateinischen nicht mächtig? Nun, als
inflammatio
bezeichnen wir Ärzte eine Entzündung, und wenn wir von
pus
sprechen, meinen wir Eiter. Aber nun, denke ich, ist der Trank genügend abgekühlt, um ihn Eurer Mutter geben zu können.«
    »Ja, Dottore«, sagte ich und dachte, er würde es tun. Aber er machte keine Anstalten dazu.
    Da nahm ich den Trank und flößte ihn meiner Mutter ein.
    »Das macht Ihr sehr gut, Signorina. An Euch ist eine hilfreiche Nonne verlorengegangen.«
    »Danke, Dottore.«
    »Ehre, wem Ehre gebührt,
honos reddatur dignis.
Ich darf mich nun empfehlen. Es warten noch einige andere Patienten auf mich.
Arrivederci.
«
    »
Arrivederci,
Dottore.«
    Er stülpte sich sein Barett auf und ging, ohne zu sagen, wann er wiederkäme.
     
    In der darauffolgenden Nacht tat ich kein Auge zu. Meine Mutter fieberte und wälzte sich unruhig herum. Immer wieder rief sie meinen Namen, und wenn ich an ihr Bett eilte, erkannte sie mich nicht. Sie schaute durch mich hindurch, als blicke sie in ein fernes Land. Ich flößte ihr mehrmals von dem

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