Die Medica von Bologna / Roman
von dem Priester ihres Vertrauens bekam. Ich ging hinüber zu ihrem Bett und setzte mich auf den Rand. »Mamma, bist du wach?«
»… schön, so schön …« Ihre Stimme war so leise, dass ich sie mehr erahnte als verstand. »Wenn ich gehe, gehe ich mit Gott.«
»Ja, Mamma.« Ich nahm ihre heiße Hand und lauschte weiter. Ihre Stimme wurde fester, gerade so, als hätte ihr das Sakrament Kraft gegeben. »Gib acht auf dich, meine Kleine, hüte dich … vor der Inquisition.«
»Ja, Mamma.«
»… vor der Inquisition.«
Eine Pause entstand. Ich dachte, sie wäre wieder weggedämmert, doch sie sprach weiter: »Gib acht auf dein Gesicht, zeige es nicht, damit … damit sie dich nicht als Hexe denunzieren.«
»Aber Mamma, lass das doch jetzt.«
»Nein, ich muss … letztes Jahr wurde in Rom eine Frau verbrannt … der Ankläger war Girolamo Menghi, der Hexenjäger, er ist … in der Stadt.«
»Mach dir keine Sorgen«, sagte ich zuversichtlicher, als mir zumute war. Den Namen Girolamo Menghi hatte ich noch nie gehört.
»Zeige nicht dein Gesicht … versprich es mir.« Die Hand meiner Mutter zuckte. »Denk an dein Feuermal …«
»Ja, Mamma.« Ich überlegte, ob ich ihr etwas von dem
laudanum
geben sollte, aber sie machte nicht den Eindruck, als hätte sie große Schmerzen. Dann kam mir ein anderer Gedanke, der Gedanke für eine Frage, die ich noch nie zuvor gestellt hatte, und ich sprach sie sofort aus: »Hatte mein Vater auch ein Feuermal, Mamma?« Ich hielt den Atem an. Würde ich eine Antwort bekommen?
»Nein, Kind, nein …«
Sie hatte geantwortet! Zum ersten Mal hatte sie eine Frage zu meinem Vater beantwortet. Schnell fügte ich hinzu: »Sah er gut aus?«
»Ja … ja, das tat er.«
Atemlos fragte ich weiter: »Du sagst immer, er wäre tot, Mamma. Wann starb er?«
»Ich … ich glaube …«
»Wann?«
»Ich ….«
»Mamma, wer war er?«
»Oh, Kind, gleich … Durst …«
»Warte!« Ich sprang auf und eilte in die Küche, um den Krug mit dem Wasser zu holen. Doch er war leer. Aufgeregt lief ich nach hinten in den Hof zu dem alten Ziehbrunnen. Gleich würde meine Mutter mir den Namen meines Vaters sagen. Endlich, nach so langer Zeit. Während ich den großen Holzeimer am Seil hinabließ, dachte ich an die wundersame Kraft des Sterbesakraments, an das duftende Salböl, die stärkenden Gebete und die frommen Bibelzitate. Das alles musste ihren Sinneswandel bewirkt haben. Dann tauchte der volle Eimer wieder neben dem Brunnenrand auf und unterbrach meine Gedanken. Ich wuchtete den Eimer vom Rand herunter und lief mit ihm zurück in die Küche, wo ich einen großen Becher mit dem kühlen Nass füllte. Ich rief: »Gleich kriegst du schönes, kaltes Wasser, Mamma, das wird dich erfrischen. Und einen Nackenwickel bringe ich dir auch mit, du wirst sehen, der drückt die Hitze herunter.«
Ich tauchte den Wickel mehrmals in den Eimer, damit er richtig kalt werde, wrang ihn aus und rief: »Gleich bin ich da, Mamma.«
Mit dem Becher und dem Wickel in der Hand trat ich an ihr Krankenbett. Ich schob ihr den Wickel unter den Kopf und hielt ihr den Becher an den Mund. »Trink, Mamma.«
Doch meine Mutter trank nicht.
Sie war tot.
Der Schleier
La veletta
ch weiß nicht genau, ob es die Trauer um meine Mutter war oder mehr die Angst vor der öffentlichen Beisetzung, in jedem Fall fiel ich noch am Sterbetag in ein tiefes Tal des Trübsinns. Ich saß in der Ecke des Werkstattzimmers neben dem verhängten Spiegel und war zu keinem klaren Gedanken fähig. Als Doktor Valerini am frühen Abend erschien, um nach meiner Mutter zu sehen, fand er mich völlig verzagt vor.
Nachdem er den Tod seiner Patientin festgestellt hatte, waren die Worte, die er an mich richtete, eher sachlich als tröstlich. »Gott hat verfügt, dass die Gangrän stärker war als sie, doch nun ist sie erlöst«, sagte er. »Der Tod ist ein Teil des Lebens, alles hat seine Zeit.«
»Ja, Dottore«, murmelte ich.
»Ihr habt getan, was Ihr konntet.«
»Danke, Dottore.«
»Das Leben geht weiter, es kommen auch wieder bessere Tage.«
»Ja, Dottore.«
»Ich muss jetzt gehen, es ist noch einiges zu erledigen. Der Totenschein will noch geschrieben sein, weitere Vorschriften müssen eingehalten werden. Die Ämter fragen nicht danach, wie es im Herzen eines Hinterbliebenen aussieht. Für sie ist der Tod ein Verwaltungsakt wie jeder andere, der Gebühren kostet. Ach, wo ich gerade von Gebühren spreche: Ein Arzt kann nicht für Gotteslohn
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