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Die Medica von Bologna / Roman

Die Medica von Bologna / Roman

Titel: Die Medica von Bologna / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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ich sogar aus dem Haus gegangen wäre, um den Arzt zu holen. Jedenfalls glaubte ich das.
    Immer wieder versuchte ich, meine Mutter anzusprechen, aber sie lag im Fieberwahn. Sie erzählte von Kleidern und Kundinnen, nannte Adressen und Namen, von denen ich nur meinen eigenen kannte, redete von Zauberinnen, die der Herrgott am Leben lassen möge, von Inkuben und Sukkuben. Als sie dazu noch von Lilu, Lilutu, Ardat Lili, Irdu Lili zu fantasieren begann, hielt ich es nicht mehr aus. Ich nahm meine dicke, wollene Zimarra, zog sie an und öffnete die Tür.
    Draußen wurde es schon dunkel. Ich verharrte einen Augenblick und trat mit einem entschlossenen Schritt in die Gasse. Niemand war in der Nähe zu sehen. Ich schlug die Kapuze meiner Zimarra hoch, so dass mein Gesicht halb verdeckt war, zog den Kopf ein und sprach zu mir selbst: »Du musst es tun, es ist für Mamma.«
    Ich lief in gebückter Haltung die fünfhundert Schritte zum Haus von Signora Carducci und klopfte an die Tür. Es dauerte eine kleine Ewigkeit, aber dann machte sie auf. »Carla, du?«, sagte sie erstaunt, nachdem sie mich erkannt hatte.
    »Ja, Signora«, antwortete ich hastig. »Meine Mutter … sie braucht einen Arzt. Doktor Valerini, wisst Ihr, wo er wohnt?«
    »Sicher, Carla, aber so komm doch erst einmal herein, du bist ja völlig verängstigt.«
    »Danke … danke, nein, Signora. Könnt Ihr Doktor Valerini holen? Ich glaube, es ist sehr dringend, wirklich sehr dringend.«
    »Ja, äh, jetzt?«
    »Bitte, Signora.«
    »Steht es denn so schlimm?«
    »Ja, Signora, bitte … bitte!«
    »Nun gut, ich will es tun. Niemand soll sagen, Alessandra Carducci wäre nicht hilfsbereit.«
    »Danke, danke, Gottes Segen über Euch!« Ich drehte mich um und hastete zurück nach Hause, wo ich mich atemlos auf den nächsten Stuhl warf und geraume Zeit brauchte, um wieder klar denken zu können.
    Ich hatte etwas vollbracht, das ich mir niemals zugetraut hätte. Ich war draußen gewesen.
    Und mir war nichts passiert. Niemand hatte mich verhöhnt oder bedroht.
    Ich stand langsam auf und trat ans Bett meiner Mutter. »Mamma«, sagte ich, »Doktor Valerini ist auf dem Weg.«
    Sie hörte mich nicht.
    Ich machte ihr eine kühlende Nackenrolle und setzte mich neben sie. Ich wartete auf Doktor Valerini. Es wurde später und später, schließlich, irgendwann in der Nacht, übermannte mich der Schlaf.
    Doktor Valerini war nicht gekommen.
     
    Er kam erst am nächsten Tag um die Mittagszeit und trug noch immer sein mit Perlenschnüren und Agraffen verziertes Barett. An dem einstmaligen Prachtstück waren die Jahre ebenso wenig spurlos vorübergegangen wie an ihm. Bei der Begrüßung gab er in keiner Weise zu erkennen, dass er mich schon einmal behandelt hatte, sondern musterte nur kurz mein Feuermal und sagte: »Ich höre, Eurer Mutter geht es nicht gut?«
    »Ja, Dottore, endlich seid Ihr da. Ich mache mir die größten Sorgen.«
    »Dann wollen wir mal sehen.« Er ging zu ihrem Bett und betrachtete sie mit forschendem Blick. Dann zog er ihr ein Augenlid hoch und griff nach ihrem Handgelenk. Er fühlte den Puls.
    Meine Mutter stöhnte und murmelte etwas. Das Fieber hatte ihren Geist entrückt.
    Gern hätte ich gewusst, was der Doktor dachte, aber ich wagte nicht, seine Untersuchung zu stören. »Alles in allem sieht es bedenklich aus«, sagte er schließlich. »Besonders die genähte Wunde gefällt mir nicht. Wer hat das gemacht?«
    »Ich …« Röte schoss mir ins Gesicht. »Ich, äh, hoffe, die Naht ist in Ordnung, Dottore?« Mein Herz klopfte so stark, dass ich glaubte, man müsse es im ganzen Raum hören.
    »Die Stiche hätten etwas tiefer sein können, aber sonst ist es recht gute Arbeit.«
    Zum Glück fragte er nicht weiter nach, sondern beugte sich vor und roch an den Wunden auf der Stirn meiner Mutter. »Tja«, sagte er, »ich will Euch nichts vormachen, Signorina, Geruch und Farbe der Wunde verheißen nichts Gutes. Es könnte sein, dass sich eine feuchte Gangrän bildet.«
    »Was ist das, Dottore?«, fragte ich ängstlich.
    »Gangrän bedeutet eine ›wegfressende Wunde‹, das heißt, Giftstoffe zerstören die Haut und das Fleisch. Man bezeichnet die Gangrän auch als Wundbrand.«
    »Muss meine Mutter … ich meine, wird sie daran …?«
    »Das liegt in Gottes Hand. Die Gangrän geht häufig mit großen Schmerzen einher, besonders, wenn der darunterliegende Knochen verletzt ist. Ich hoffe aber, das Stirnbein Eurer Mutter ist nicht lädiert. Habt Ihr Weidenrinde im

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