Die Medica von Bologna / Roman
Grund, mir böse zu sein. Weißt du, was? Ich verspreche dir, bei dem Begräbnis dabei zu sein. Ich werde nicht von deiner Seite weichen. Du brauchst dir überhaupt keine Sorgen zu machen.«
»Ich habe trotzdem Angst«, sagte ich und dachte: Wenn du erlebt hättest, was ich mit Pater Edoardo erlebt habe, würdest du nicht so reden. »Am liebsten würde ich mich irgendwo für immer verkriechen.«
»Vergiss doch einfach dein Feuermal, denke, es wäre nicht da.«
»Es ist aber da, Tag und Nacht, immer!«
Marco erwiderte nachdenklich: »Ja, natürlich, das stimmt leider. Es müsste etwas geben, das die Entstellung für alle unsichtbar macht, eine Art Tarnkappe für dich.«
»So etwas gibt es nicht.«
»Warte mal …« Marco sprang auf. »Doch, es gibt da etwas! Einen Augenblick …« Er stürmte in das Werkstattzimmer, wo ich ihn eine Weile suchen und rumoren hörte, und kam dann lächelnd zurück. »Sieh mal.«
Er hielt ein samtenes schwarzes Barett in der Hand, das meine Mutter einst für eine begüterte Kundin angefertigt hatte, aber niemals abgeholt worden war.
»Was ist damit?«, fragte ich verständnislos.
»Mach die Augen zu.«
Ich gehorchte, wenn auch widerstrebend, und spürte, wie er mir die Kappe aufsetzte.
»Und nun mach die Augen wieder auf.«
Ich tat es und musste blinzeln, denn ich nahm Marco nur wie durch einen Schleier wahr. Ich blinzelte nochmals und erkannte, dass ich tatsächlich durch einen Schleier blickte. »Und jetzt?«, fragte ich verständnislos.
Marco lächelte noch immer. »Du siehst mich nur schemenhaft, stimmt’s?«
»Ja, aber …«
»Ich dagegen sehe dein Gesicht so gut wie gar nicht, weil die Krempe des Baretts und der Schleier ihre Schatten darauf werfen. Und weil ich dein Gesicht nicht sehen kann, ist auch das Feuermal für mich unsichtbar. Was sagst du dazu?«
»Ich weiß nicht recht.«
»Nun freu dich doch, das ist die Lösung! Du wirst das Barett auf der Beerdigung tragen, und niemand wird dein Gesicht sehen können. Komm, gib mir die Kappe, ich werde sie aufsetzen, und du wirst mir sagen, ob du mein Gesicht siehst. Vielleicht überzeugt dich das.« Er setzte sie sich auf, und ich musste trotz meiner Zweifel fast lachen, denn mit dem Schleier sah er ziemlich albern aus.
»Na, was ist? Siehst du mein Gesicht?«
»Nein, ich sehe nur eine verschwommene Kontur«, sagte ich wahrheitsgemäß. »Aber wir sitzen hier bei Kerzenlicht, wie wird es im hellen Sonnenschein sein?«
»Genauso, Carla, genauso.«
»Meinst du wirklich?«
»Das meine ich. Du wirst das Barett auf der Beerdigung tragen und dich ganz sicher fühlen können, und noch etwas: Niemand wird sich über den Schleier Gedanken machen, denn auf einer Beerdigung Schleier zu tragen ist die normalste Sache der Welt.«
Dem konnte ich schlecht widersprechen.
Und ich widersprach auch nicht, als Marco nochmals anbot, die Nacht über bei mir zu bleiben.
Allerdings verlief sie nicht so, wie er sich das vorgestellt haben mochte, denn zwischen ihm und mir stand immer noch meine Mutter.
An die Einzelheiten der Beerdigung kann ich mich kaum erinnern. Wenn ich heute daran denke, sehe ich nur eine Reihe von Bildern und erlebe dabei die unterschiedlichsten Gefühle – überwiegend unangenehme. Ich spüre den Weg zum Friedhof unter meinen Füßen, sehe die Sargträger und das offene Grab, die Blumen, die Trauergemeinde, die betretenen Gesichter, ich sehe Pater Edoardo, wie er das Kreuz schlägt, fühle seine feuchte, schwammige Hand, nehme seine salbungsvolle Kanzelstimme wahr, spüre Marcos Schulter an meiner Seite, höre die Trauergesänge, die gemurmelten Beileidsworte, schmecke die Hostie und rieche den beizenden Qualm des
thuribulums …
Nein, an genaue Einzelheiten der Beerdigung kann ich mich nicht erinnern, und vielleicht will ich es auch nicht. Das Einzige, was ich noch genau weiß, ist, dass ich während der gesamten Zeremonie kalte Schweißausbrüche hatte und nicht eine Träne hinter dem Schleier vergoss.
Als ich danach allein in das Haus meiner Mutter zurückkehrte, nahm ich als Erstes das Barett ab. Ich verstaute es ganz unten in einer Truhe, denn ich war mir sicher, ich würde es nie wieder brauchen. Dann begann ich aufzuräumen. Es war eine Arbeit, die recht lange dauerte, weil jeder Gegenstand, den ich in die Hand nahm, mich an meine Mutter und die gemeinsame Zeit mit ihr erinnerte. Was ich auch tat, sie war allgegenwärtig.
Irgendwann stand ich auch vor der Habe, die ich für meinen Umzug in
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