Die meerblauen Schuhe meines Onkels Cash Daddy
älterem Bruder geliehen, und Tante Dimma hatte ihrem Geldbeutel entsprechend zwei mittlere Beträge gespendet. Mutters ganzer Schmuck und ihre wertvollen Wickelgewänder waren schon in früheren Krisen verkauft worden, um das Schulgeld der Kinder zu decken. Auf der Bank lag nur noch ein Kleckerbetrag. Es würde nicht mehr lange dauern, dann konnten die Ärzte uns an den Beinen packen und kopfüber ausschütteln, ohne dass uns ein einziger Penny aus den Taschen fallen würde.
Tante Dimmas Stimme beendete das lange Schweigen.
»Was ist mit deinem Bruder?«, fragte sie.
»Welchem?«, fragte meine Mutter zurück.
»Na welchem wohl? Boniface sitzt in Aba und gibt sein Geld für dumme Weiber aus und kauft sich jeden Tag neue Autos. Warum soll er nicht wissen, dass Paulinus im Krankenhaus liegt?«
Erschrocken warf ich meinem Vater einen Blick zu, um zu sehen, ob er das gehört hatte. Wenn ja, würde er nichts lieber tun, als sich aus dem Bett zu erheben und seinen Katheterbeutel in den Mund meiner Tante zu entleeren. Alle wussten, wie sehr er Onkel Boniface hasste. Es verwunderte mich, dass meine Mutter Tante Dimma nicht augenblicklich verbot, so etwas je wieder vorzuschlagen. Aber sie schwieg bloß.
Ich hielt den Atem an und beobachtete sie. Sie schien tatsächlich darüber nachzudenken.
»Was ist denn schon dabei?«, fuhr Tante Dimma fort.
»Andere reiche Leute bauen ihren Verwandten Häuser und zahlen die Ausbildung ihrer Kinder. Eine Freundin von mir …«
»Sprich leiser«, flüsterte meine Mutter.
»Bei einer Freundin von mir gibt der ältere Bruder das Geld, damit ihre Tochter in London den Master machen kann … fast 10 000 Pfund. Wie könnt ihr einen Bruder in der Familie haben, der dermaßen im Geld schwimmt, und ihr strampelt euch trotzdem so ab?«
Meine Mutter dachte weiter nach.
»Dieses neureiche Volk, das mit dem Geld nicht weiß, wohin«, erwiderte sie schließlich, »das kann einem wirklich auf die Nerven gehen. Guck dir Boniface an: Gestern hat er noch bei uns gewohnt, und von einem Tag auf den anderen haben ihm seine paar Naira den Kopf verdreht. Bei Vaters Beerdigung, hast du nicht gesehen, wie er da mit seinen Sicherheitsleuten hin- und herstolziert ist wie das Staatsoberhaupt persönlich? Dabei hat der Junge nicht mal einen ordentlichen Schulabschluss.«
Tante Dimma sah meine Mutter an und lachte. Sie hörte auf zu lachen, brach dann erneut in Gelächter aus.
»Kleine Richtigstellung«, sagte sie. »Die Formulierung ›paar Naira‹ trifft es nicht ganz. Allein mit dem Gegenwert seiner Autos könnte man Nigerias sämtliche internationale Schulden bezahlen. Wenn du willst, kannst du ihn ›neureich‹ schimpfen. Du hast die großen Worte. Er hat das große Geld.«
Sie lachte ein bisschen weiter.
»Also, was schlägst du vor?«, fragte meine Mutter jetzt, die Stimme noch immer weit unterhalb der normalen Gesprächslautstärke.
»Ozoemena, gib dir einen Ruck. Es geht hier um Paulinus’ Leben. Ich habe seine Handynummer, ich glaube aber, am besten wäre es, persönlich mit ihm zu sprechen. Du musst ja nicht selber gehen.« Sie nickte in meine Richtung.
»Schick Kings hin.«
»Nach Aba oder nach Lagos?«, fragte Mutter.
»Er ist meistens in Aba. Im Haus in Lagos wohnt nur seine Frau mit den Kindern. Wie ich höre, gefällt ihr Aba nicht.« Tante Dimma schnaubte. »Es ist ihr wahrscheinlich zu provinziell.«
»Was ist das für eine Ehe? Wie können sie so weit auseinander leben?«
»Ehe? Hmm. Das Mädchen hat sich berufsmäßig aushalten lassen, bevor sie sich zum geregelten Leben entschloss. Was erwartest du? Sie verpulvert einfach sein Geld und kümmert sich um seine Kinder.«
»Heißt das, ihr meint, ich soll hingehen und ihn um Geld bitten?«, unterbrach ich, um sie wieder auf praktische Gedanken zu bringen.
»Ich finde schon«, erwiderte Tante Dimma. »Dieser Betrag, der euch schlaflose Nächte bereitet, ist für andere Leute bloß Naschgeld. Schließlich und endlich ist er mit euch blutsverwandt.«
Sie erklärte mir genauer, wo der Firmensitz von Onkel Boniface in Aba zu finden war.
»Frag einfach irgendjemand«, sagte sie. »Und sag, dass du zu Cash Daddy willst.«
11
In den Straßen von Aba häufte sich der Müll. Die stinkenden Abfälle blockierten die Fahrbahnen, so dass sich die Fahrzeuge durch schmale Asphaltlücken zwängen mussten. Falsche Polizisten brüllten aus Leibeskräften und zwangen Lastkraftfahrer zum Anhalten, um ihnen kleine Beträge für erfundene
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