Die meerblauen Schuhe meines Onkels Cash Daddy
schnell. Sie erhob sich energisch von ihrem Stuhl, stemmte die Hände in die Hüften und reckte ihr Gesicht so weit vor, dass es fast an seine Nase stieß.
»Paulinus!«, schimpfte sie. »Du lässt dich nicht erst seit heute von deiner Bildung irremachen. Komme, was wolle, jeder Mann braucht Kinder, die seinen Namen tragen. Jeder Mann! Gott bewahre, aber was ist, wenn Kingsley etwas zustößt? Dann wäre dein Name für alle Zeit ausgelöscht. Ist es das, was du willst?«
Mein Vater brüllte wie King Kong.
»Verschwindet aus meinem Haus! Ihr alle, … steht auf und macht, dass ihr rauskommt! Macht, dass ihr rauskommt! Sofort!«
Eine andere Szene.
Ich war mitgefahren, als mein Vater nachsehen wollte, wie es mit dem Bau unseres Hauses im Dorf voranging. Die Arbeiter waren dabei, das Fundament zu legen. Gegen Abend unternahm er mit mir einen Spaziergang auf dem staubigen Dorfweg. Dieselbe Strecke hatte er als Kind täglich zur Missionsschule zurückgelegt – barfuß, weil Kinder damals keine Schuhe tragen durften.
»Dieser Baum heißt Orji «, sagte er und deutete auf einen hohen Baum mit einem mächtigen Stamm. »Von ihm bekommen wir die Kolanüsse. Der hier heißt Ahaba . Er gibt das beste Brennholz. Der hier heißt Udara .« Er lächelte.
»Wenn die Udara -Zeit kam, standen meine Freunde und ich immer viel früher auf als sonst, damit wir auf dem Schulweg die reifen Früchte aufsammeln konnten, die in der Nacht heruntergefallen waren. Wir mussten immer warten, bis die Früchte von selber fielen, denn wenn man sie pflückt, sind sie nicht süß.«
Bald wurde es Zeit, nach Hause zu fahren. Ich war enttäuscht.
»Keine Sorge«, sagte mein Vater. »Wenn unser Haus fertig ist, kommen wir wieder und verbringen eine ganze Woche hier, und dann zeige ich dir den Fluss und die Felder und die Wälder.«
Noch andere Bilder kamen und gingen.
Meine Abschlussfeier. Mein Vater beobachtete lächelnd, wie ich für ein Foto posierte. Er hob die Hand und bat den Fotografen zu warten. Dann trat er zu mir und drapierte die Quaste an meinem Hut noch einmal neu.
»Dieses Bild wirst du deinen Kindern und Enkeln zeigen«, sagte er. »Da muss alles perfekt aussehen.«
Wie sollte ich Godfrey und Eugene und Charity beibringen, dass ihr Vater nie mehr nach Hause kommen, dass er nie mehr plötzlich den Fernseher ausschalten und ihnen befehlen würde, zu lernen? Ihr Vater würde nicht ihre Immatrikulationsfeier erleben, ihnen nicht sagen, welche Kurse sie zu belegen und welche Fächer sie in die Formulare einzutragen hatten. Ich wünschte, ich wäre an seiner Stelle gestorben.
Meine Mutter stieß erneut einen schrillen Schrei aus. Da fiel mir Ola ein, und dass sie nicht da war, um mich zu halten. Ich zerbröselte in tausend kleine Stückchen.
18
Unsere Wohnung konnte die Trauernden kaum fassen. Manche erkannte ich, andere nicht. Manche kamen am Morgen, manche kamen am Abend. Manche brachten Essenszutaten mit, manche kochten, was andere mitgebracht hatten. Wir liehen uns Stühle von den Nachbarn, um die vielen Leute unterzubringen. Wer immer noch keinen Sitzplatz bekam, hockte sich entweder auf den Linoleumfußboden oder stellte sich hinter den Kreis der diversen Stühle. Jede Nacht lagen Leiber schnarchend am Boden und hingen Arme und Beine über die Sessellehnen im Wohnzimmer.
Jeden Morgen kleidete sich meine Mutter in ihre dunklen Kleider und setzte sich ins Wohnzimmer, um Beileidsbekundungen entgegenzunehmen. Ihre Augen waren immer nass und geschwollen. Jedem, der eintrat, erzählte sie die Geschichte aufs Neue.
»Gewöhnlich werde ich um die Zeit nicht wach«, begann sie, »aber an dem Tag bin ich aus irgendeinem Grund gegen halb fünf aufgewacht. Da habe ich gemerkt, dass mir ein bisschen kalt war.«
Ihr erster Gedanke war, dass ihr Mann wahrscheinlich fror. Sie erhob sich von ihrer Raffiamatte und stellte den Tischventilator aus. Dann legte sie sich wieder hin und wäre fast wieder eingeschlafen, aber irgendetwas machte sie unruhig. Die Stille war ungewöhnlich. Schließlich dämmerte es ihr. Das Atemorchester ihres Mannes hatte aufgehört zu spielen. Kein Rasseln mehr, kein schweres Schnaufen. Meine Mutter richtete sich auf und kroch zu seinem Bett. Sie stützte sich auf die Kante und zog das Moskitonetz weg.
»Ich rief seinen Namen und rüttelte ihn an den Schultern.« Die ihr zuhörten, kämpften mit den Tränen.
Als er sich nicht rührte, rief sie abermals seinen Namen und schüttelte ihn wieder – so heftig, dass
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