Die meerblauen Schuhe meines Onkels Cash Daddy
eine nach der anderen, aufgescheucht aus dem Schlaf in den hintersten Winkeln meiner Seele wie ein Aufzug von Geistergestalten in einem Shakespearestück.
In der ersten Szene saß ich auf dem Schoß meines Vaters, während meine Mutter eine Petroleumlampe anzündete. Der Strom war ausgefallen.
»Kings«, sagte mein Vater unvermittelt, »weißt du, wie sich die Schildkröte den Rücken gebrochen hat?«
Ich hatte die Schildkröte mehrmals im Fernsehen gesehen. Ihr Panzer war in Segmente aufgeteilt, als ob die einzelnen Stücke zu einem Ganzen verleimt worden wären. Ich schüttelte den Kopf. Ich wusste es nicht.
»Es war einmal eine Zeit«, begann er, »da herrschte Hungersnot im Land der Tiere.«
Die Tiere beschlossen, dass sie der Reihe nach ihre Mütter töten und das Fleisch unter sich teilen wollten. Den Anfang machten sie mit dem Eichhörnchen, und weiter ging es mit dem Fuchs, dann dem Elefanten, der Antilope, dem Tiger … Schließlich kam die Schildkröte an die Reihe.
»Aber die Schildkröte war sehr findig«, sagte mein Vater. Sie beschloss, ihre Mutter zu verstecken. Sie machte sich ein ganz langes Seil und kletterte mit ihr zum Himmel empor, und als sie wieder herunterkam, versteckte sie das Seil. Darauf begann sie, zu weinen und zu wehklagen. Als die Tiere sie fragten, was los sei, erzählte die Schildkröte ihnen, ihre Mutter sei gestorben.
Mein Vater machte nach, wie jedes der Tiere der Schildkröte sein Beileid aussprach.
Jeden Tag holte die Schildkröte das Seil aus dem Versteck und kletterte zum Himmel empor, um ihrer Mutter etwas zu essen zu bringen. Eines Tages fiel dem Fuchs auf, dass die Schildkröte immer etwas Essen zurückbehielt. Er schöpfte Verdacht und folgte ihr heimlich. Er sah, wie die Schildkröte zum Himmel emporkletterte.
Als die Schildkröte ihrer Mutter das Essen gebracht hatte und wieder auf dem Weg nach unten war, sah sie, dass die anderen Tiere sich am Fuß des Seils versammelt hatten und sie erwarteten. In panischer Angst kletterte sie wieder nach oben. Die Tiere merkten, dass sie entfliehen wollte, und zogen am Seil. Sie zogen so kräftig, dass das Seil riss und die Schildkröte zu Boden stürzte.
»Die Schildkröte landete auf dem Rücken«, schloss mein Vater. »Und noch heute ist ihr Panzer an mehreren Stellen gesprungen.«
Die Szene verblasste. Eine andere tauchte auf.
Ich saß mit meinen Eltern beim Frühstück. Mein Vater ging nachschauen, wer da am Samstagmorgen so laut an der Haustür bummerte wie ein Vermieter, der die ausstehende Miete des letzten Jahres eintreiben wollte. Fünf seiner Schwestern strömten herein, allesamt offenbar bemüht, einander an Fettleibigkeit zu übertreffen. Als sie Platz genommen hatten und die Höflichkeitsfloskeln erledigt waren, fing die älteste Schwester an.
»Pauly, wir sind gar nicht glücklich darüber, wie die Dinge stehen. Wie kann das angehen, dass wir zu unserem ältesten Bruder kommen, und es rennen keine Kinder laut durchs Haus, sondern es ist alles totenstill?«
Mein Vater gab keine Antwort. Die zweitälteste Schwester machte weiter.
»Wie Ada schon sagte, wir machen uns große Sorgen. Du wirst nicht jünger. Du solltest nicht warten, bis deine Haare ganz grau sind und dir alle Zähne ausgefallen sind, bevor du beschließt, etwas zu unternehmen.«
Sie gab den Stab an Tante Ada zurück.
»Pauly, wir wissen, dass deine Arbeit im Ministerium dich sehr beansprucht. Du hast vielleicht nicht die Zeit, dich selber umzutun, deshalb haben wir beschlossen, dir zu helfen. Wir haben im Dorf zwei Mädchen gefunden, unter denen du wählen kannst. Sie sind hübsch mollig und körperlich sehr kräftig. Wir möchten, dass du mit uns ins Dorf kommst und sie dir anschaust, damit du entscheiden kannst, welche du nimmst.«
Meine Mutter nahm diese Aufforderung schweigend hin. Eine Frau, die keine Kinder gebar, musste sich von den Verwandten ihres Mannes jede Behandlung gefallen lassen. Bis jetzt war ihre einzige Rettung gewesen, dass mein Vater fest zu ihr hielt. Die Reaktion meines Vaters dagegen fiel heftig aus. Er schlug sich mit der Faust auf das Knie, sprang von seinem Stuhl auf und biss die Zähne so fest zusammen, dass die beiden weißen Reihen fast zu einem einzigen dünnen, weißen Strich verschmolzen.
»Ich habe gehört, was ihr zu sagen habt«, sagte er. »Wenn ihr jetzt bitte aufstehen und mein Haus verlassen würdet.« Er sprach mit leiser Stimme, und doch jagte er ihnen allen Angst ein. Aber Tante Ada fasste sich
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