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Die meerblauen Schuhe meines Onkels Cash Daddy

Die meerblauen Schuhe meines Onkels Cash Daddy

Titel: Die meerblauen Schuhe meines Onkels Cash Daddy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adaobi Tricia Nwaubani
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bekamen wir vom Krankenhaus Anleitungen zu den Übungen, die er zu Hause machen konnte, sowie den Rat, ihm einen Spazierstock zu besorgen.
    Zwei Tage vor seiner geplanten Heimkehr nahm meine Mutter mich im Krankenhaus beiseite.
    »Kings, ich glaube, du musst morgen nicht unbedingt kommen.«
    Ich war überrascht.
    »Warum nicht?«
    »Ich möchte, dass du zu Hause bleibst und dafür sorgst, dass alles bereit ist.«
    Sie spulte eine lange Liste haarkleiner Anweisungen ab, und am nächsten Tag befahl ich Odinkemmelu und Chikaodinaka, das Haus einem Großputz zu unterziehen. Sie fegten und scheuerten, wischten und polierten. Ich gab Charity Geld und schickte sie auf den Markt. Sie deckte uns mit unreifen Plantanen, Gemüse und anderen kohlehydratarmen Nahrungsmitteln ein. Eugene befreite den Weg vom Elternschlafzimmer zum Wohnzimmer von störenden Eimern und staubigen Vorratskartons. Mein Vater würde so viel Platz wie möglich brauchen, um sich mit seinem lahmen linken Bein fortzubewegen. Godfrey wechselte das Laken auf dem elterlichen Bett und schüttelte das Kissen auf Vaters Sessel auf. Ich stellte das Fernsehtischchen um, damit er besser gucken konnte, ohne sich den Hals zu verrenken. Dann ging ich zum Schreiner neben der Schneiderei meiner Mutter und holte den Spazierstock ab, den ich einige Tage zuvor bestellt hatte.
    In der Nacht konnte ich lange nicht einschlafen. Zum milliardsten Mal bangte ich um mein Leben, das von nun an ohne Ola sein sollte. Mir war, als müsste ich, wie mein Vater, die elementaren Techniken des Lebens noch einmal ganz von vorn erlernen. Doch es bestand noch Hoffnung. Vielleicht würde Olas Mutter ihr erlauben, sich mir wieder zuzuwenden, wenn ich erst mal nach Port Harcourt gezogen war und eine Stelle gefunden hatte.
    Ich steckte den Kopf unter das Kissen und zwang meine Gedanken zur Ruhe. Der morgige Tag würde anstrengend werden; ich sollte so ausgeschlafen wie möglich sein.
    Als der Schlaf endlich kam, träumte ich von meinem Vater.
    Er saß auf seinem Krankenhausbett, und ich stand direkt vor ihm.
    »Kingsley, willst du es in dieser Welt und vor dir selbst zu etwas bringen?«
    Ich antwortete mit Ja.
    »Willst du, dass ich und deine Mama stolz auf dich sind?«
    Wieder antwortete ich mit Ja.
    »Willst du, dass die Leute dich überall, wo du hinkommst, kennen und achten?«
    Ja, das wollte ich.
    »Willst du, wenn du groß bist, auf dem Markt in Nkwoegwu Paprika und Tomaten verkaufen?«
    An dem Punkt wachte ich schweißgebadet auf. Irgendwann in den frühen Morgenstunden starb mein Vater.

    Als ich am Morgen auf die Krankenstation kam, meldete sich jener eigentümliche Instinkt, der einem jungen Mann sagt, dass er keinen Vater mehr hat. Ich wusste, was geschehen war, ohne dass man es mir mitgeteilt hätte. An der Rezeption und auf den Gängen blickten mich die Schwestern so seltsam an, als hätte ich mir eine Bombe vor den Bauch geschnallt und vergessen, das Hemd zuzuknöpfen. Dann hörte ich meine Mutter.
    »Hewu o!«, kreischte sie. »Lasst mich doch alle allein, ich will sterben!«
    Ihre Stimme schien aus den Eingeweiden zu kommen statt aus der Kehle. Sie lieferte sich ein Handgemenge mit einigen Schwestern. Immer wenn es ihr gelang, sich loszureißen, warf sie sich auf den Boden oder schlug den Kopf gegen die Betonwand. Sie wand sich und knirschte mit den Zähnen wie eine Seele im Höllenfeuer. Ich stand eine Weile stumm dabei und beobachtete dieses Schauspiel. Dann ging ich an ihnen vorbei und öffnete die Tür zum Zimmer meines Vaters. Zwei männliche Pfleger traten mit mir ein und blieben in Reichweite stehen.
    Jemand hatte ihn von Kopf bis Fuß mit einem weißen Laken zugedeckt, das genau in der Mitte einen großen, alten, kreisrunden braunen Schmutzfleck hatte. Interessanterweise hatten sie Laken für die Toten, aber keine für die Lebenden. Ich schlug das Laken zurück. Ich nahm seine Hand und drückte seine Finger. Sie waren kalt und steif. Ich legte das Ohr auf seine Brust und lauschte. Ich prüfte den Puls. Zuletzt zog ich die Lider hoch und starrte in die Augen. Mein Vater starrte zurück.
    Als ich schließlich begriff, dass ich nie wieder das Schlurfen hören würde, mit dem mein Vater früher immer zum Essen kam, ließ ich mich schwer neben dem Bett niedersinken. Ich hielt mir den Kopf. Die beiden Pfleger kamen näher und nahmen wie Wachposten neben mir Aufstellung. Wie in den allerletzten Momenten eines Ertrinkenden zuckten Szenen aus meinem Leben vor mir auf. Sie kamen

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