Die Meerhexe
gern?«
»Nein.«
»Wieso kannst du es dann so gut?«
»Irgend jemand muß es doch tun.«
»Zum Wohle der Menschheit, was?«
»Du mußt ja nicht mit mir sprechen.« Er hielt einen Augenblick inne und fuhr dann fort: »Polizisten töten, Soldaten töten. Aber es ist nicht gesagt, daß sie es gern tun. Im Ersten Weltkrieg wurde ein Bursche namens Marschall Foch der höchstdekorierte Soldat des Krieges, weil er für den Tod von einer Million Männer verantwortlich war. Die Tatsache, daß die meisten davon seine eigenen Leute waren, spielte keine Rolle. Ich gehe nicht auf die Jagd, ich schieße nicht auf Rummelplätzen, ich angle nicht einmal. Ich esse zwar auch gern Lamm wie viele andere Leute, aber ich würde wegen eines Bratens keinem Tier einen Haken in die Kehle treiben und es eine halbe Stunde durch die Gegend schleifen, bis es vor Schmerz und Erschöpfung stürbe. Ich vernichte lediglich Ungeziefer.«
»Ist das der Grund, warum du und John aus dem Polizeidienst entlassen wurdet?«
»Muß ich dir das sagen?«
»Hast du schon mal jemanden umgebracht, den man gemeinhin als guten Menschen bezeichnen könnte?«
»Nein. Aber wenn du nicht aufhörst, mich zu löchern …«
»Ich glaube, ich könnte mir trotz allem vorstellen, deine Frau zu werden.«
»Wie ich schon sagte – ich habe dir nie einen Antrag gemacht.«
»Und worauf wartest du?«
Mitchell seufzte und lächelte dann. »Lady Marina Worth, würden Sie mir die Ehre erweisen …«
Hinter ihnen hustete jemand. Marina fuhr herum, und ihr Gesichtsausdruck ließ deutlich erkennen, daß nur ihre vornehme Erziehung sie davon abhielt, mit dem Fuß aufzustampfen. »Dad, du hast wirklich eine große Begabung, im unrechten Moment aufzukreuzen.«
»Ich finde, es ist der richtige Moment«, widersprach Lord Worth. »Meine herzlichsten Glückwünsche.« Er sah Mitchell an. »Sie haben sich aber wirklich Zeit gelassen, was? Ist alles für die Nacht vorbereitet?«
»Ja – jedenfalls dann, wenn es mir gelungen ist, mich in Cronkite hineinzudenken.«
»Ich setze volles Vertrauen in Sie, mein Junge. Ich für meinen Teil muß jetzt schlafen gehen – ich bin, vielleicht nicht ganz ohne Grund, todmüde.«
»Ich auch«, sagte Marina. »Na, dann gute Nacht, mein Verlobter.« Sie küßte ihn leicht und ging mit ihrem Vater davon.
Dieses eine Mal war Lord Worths Vertrauen nicht gerechtfertigt – Mitchell hatte einen großen Fehler gemacht, als er den Funkoffizier ins Bett schickte. Wäre nämlich der Funker auf seinem Platz gewesen, dann hätte er zweifellos die Nachricht von dem Einbruch im ›Netley Rowan Arsenal‹ und dem Diebstahl von Nuklearwaffen aufgefangen, und es wäre ein leichtes für Mitchell gewesen, sich darauf einen Reim zu machen.
Während Lord Worth die dritte Stunde seiner wohlverdienten Nachtruhe genoß, war Mulhooney schon außerordentlich aktiv gewesen: Er hatte 50.000 Tonnen Öl gelöscht und die Torbello wieder weit aufs Meer hinausgebracht. Eine Stunde später war er mit zwei Kumpanen und dem einzigen motorisierten Rettungsboot mit der traurigen Nachricht zurückgekehrt, daß es beim Versenken des Tankers eine Explosion gegeben hätte, die nur er und die beiden anderen überlebten. Die auf so tragische Weise umgekommene Mannschaft war im Augenblick gerade dabei, die Torbello nach Panama zu bringen. Die offiziellen Beileidsbezeugungen waren zahlreich und heuchlerisch – wenn ein Tanker in die Luft fliegt, ist es unmöglich, daß sein motorisiertes Rettungsboot die Katastrophe unbeschadet übersteht. Die Republik unterhielt keine diplomatischen Beziehungen zu den Vereinigten Staaten, und die einzigen Dinge, die sie gerne in diesem Land ausgeführt hätten, wären die Cholera und die Beulenpest gewesen. Die drei wurden auf dem winzigen Flugplatz von einem Privatjet erwartet. Nachdem ihre Pässe ordnungsgemäß gestempelt worden waren, flogen Mulhooney und seine Freunde los – angeblich nach Guatemala. Ein paar Stunden später landeten sie jedoch auf dem Internationalen Flughafen von Houston. Cronkite hatte den größten Teil der zehn Millionen Dollar Spesen noch zur Verfügung und machte sich wegen kleinerer Ausgaben kein Kopfzerbrechen – Mulhooney und seine Kumpane mieteten einen Hubschrauber und machten sich auf den Weg zum Golf.
Während der vierten Stunde von Lord Worths Tiefschlaf, der selbst durch eine beträchtliche Unterwasserexplosion nicht zu unterbrechen gewesen war, wurde Lord Worth unangenehmerweise von dem vor Wut
Weitere Kostenlose Bücher