Die Mehrbegabten
zu spät.«
»Verzeihung? Sie meinen, er ist beschäftigt? Ich muß warten?« Denfeld blickte auf seine mit Brillanten eingefaßte Armbanduhr. »Ich kann höchstens fünfzehn Minuten warten. Bitte, machen Sie ihm das klar.«
»Er ist fort«, sagte Miss Knight und faltete die Hände unter dem Kinn, eine Geste der Vertrautheit, die er an ihr nicht zu sehen erwartet hatte. »Alle seine persönlichen Probleme, vor allem in bezug auf Sie und Irma – das ist erledigt.«
»Sie meinen, wegen der Invasion.« Denfeld rieb sich gereizt die Nase. »Nun, wir stellen ihm eine gerichtliche Verfügung zu«, sagte er erbost und warf ihr seinen vernichtendsten Blick zu. »Wo er auch sein mag.«
»Willis Grem ist dort, wo keine Verfügungen ihn mehr erreichen können«, sagte Miss Knight.
»Sie meinen, er ist tot?«
»Er steht jetzt außerhalb unseres Lebens. Fern von der Erde, auf der wir leben. Er ist bei einem Feind, einem uralten Feind, und dort, wo ihn ein neuer Freund erwarten könnte. Jedenfalls dürfen wir das hoffen.«
»Wir finden ihn«, sagte Denfeld.
»Wollen wir wetten? Fünfzig Pops?«
Denfeld zögerte. »Ich – «
Miss Knight beugte sich wieder über ihre Schreibmaschine und sagte: »Guten Tag, Mr. Denfeld.«
Denfeld stand neben ihrem Schreibtisch – er hatte etwas bemerkt und griff nun danach: eine kleine Plastikstatuette eines Mannes in fließenden Gewändern. Er hielt sie eine Weile in der Hand. Miss Knight versuchte ihn zu ignorieren, aber da stand er, betastete die kleine Figur, betrachtete sie ernsthaft. Auf seinem Gesicht war ein staunender Ausdruck erschienen, als sähe er mit jedem Augenblick mehr in der Plastikfigur.
»Wer ist das?« fragte er.
»Eine Statue von Gott«, sagte Miss Knight und sah wieder von ihrer Arbeit auf. »Jeder hat eine, das ist jetzt Mode. Ist Ihnen noch keine begegnet?«
»So sieht Gott aus?« fragte Denfeld.
»Nein, natürlich nicht, es ist nur – «
»Aber es ist Gott«, sagte er.
»Hm, ja.« Miss Knight beobachtete ihn, sah das Staunen in seinen Augen, sein Bewußtsein verengt auf diesen einen Gegenstand… und dann begriff sie. Natürlich, Denfeld ist ein Neuer Mensch. Und ich kann den Prozeß verfolgen; er wird ein Kind. Sie stand auf und sagte: »Setzen Sie sich, Mr. Denfeld.« Sie führte ihn zu einem Sofa und drückte ihn nieder. Seine Aktentasche hatte er vergessen. Vergessen für immer. »Kann ich Ihnen etwas besorgen?« fragte sie; sie wußte nicht recht, was sie sagen sollte. »Cola? Limonade?«
Denfeld sah sie mit großen Augen an. »Könnte ich das wohl haben? Behalten?«
»Gewiß«, sagte sie und empfand Mitleid mit ihm. Einer der geringsten und letzten der Neuen Menschen, die an der Reihe sind, dachte sie. Wo ist jetzt seine Arroganz?
»Kann Gott fliegen?« fragte Denfeld. »Kann er seine Arme ausbreiten und fliegen?«
»Ja«, sagte sie.
»Eines Tages – « Er verstummte. »Ich glaube, alles, was lebt, wird fliegen oder wenigstens stapfen oder laufen. Manche werden schnell sein, wie in diesem Leben, aber die meisten werden fliegen oder stapfen. Hinauf und hinauf. Für immer und ewig. Sogar Schnecken. Sie werden langsam sein, doch einmal werden sie es auch schaffen. Alle werden es einmal schaffen, egal, wie langsam sie sind. Viel zurücklassend; das muß sein. Finden Sie nicht auch? «
»Ja«, sagte sie. »Sehr viel zurücklassend.«
»Danke«, sagte Denfeld.
»Wofür?«
»Daß Sie mir Gott gegeben haben.«
»Ist schon okay«, sagte sie. Und tippte stoisch weiter. Während Horace Denfeld unaufhörlich mit der Plastikfigur spielte. Mit der Unermeßlichkeit Gottes.
ENDE
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