Die Mehrbegabten
Gedanken von allen lesen, und dann« – eine Pause – »können wir die Leute in Lager bringen. Internierungslager.«
»Ist das denn nett?« fragte Nick.
»Ich – weiß nicht.« Ild legte die Hände an die Schläfen und schloß die Augen. »Was sind andere Leute? Vielleicht gibt es gar keine anderen. Vielleicht sind sie eine Täuschung. Wie Sie – vielleicht habe ich Sie erfunden. Vielleicht kann ich Sie zwingen, alles zu tun, was ich will.«
»Was möchten Sie, daß ich tun soll?« fragte Nick.
»Mich hochheben«, sagte Amos Ild. »Ich möchte aufgehoben werden, und dann gibt es ein Spiel – Sie drehen sich um sich selbst und halten meine Hände fest. Und Zen-trifugal-kraft.« Er stolperte über das Wort und gab es auf. »Sie lassen mich horizon – « Wieder stolperte er über das Wort. »Könnten Sie mich aufheben?« fragte er klagend und sah Nick an.
»Ich kann es nicht, Mr. Ild«, sagte Nick. »Weil mein Arm gebrochen ist.«
»Trotzdem vielen Dank«, antwortete Amos Ild. Er schlurfte zum Fenster und schaute zum Nachthimmel hinauf. »Sterne«, sagte er, »Leute fliegen hin. Mr. Provoni war dort.«
»Ja«, sagte Nick. »Das stimmt.«
»Ist Mr. Provoni ein netter Mann?«
»Er ist ein Mann, der getan hat, was getan werden mußte«, sagte Nick. »Nein, er ist kein netter Mann, er ist ein gemeiner Mann. Aber er wollte helfen.«
»Ist das gut – helfen?«
»Die meisten Leute glauben es.«
»Mr. Appleton«, sagte Amos Ild, »haben Sie eine Mutter?«
»Nein, sie lebt nicht mehr.«
»Meine auch nicht. Haben Sie eine Ehefrau?«
»Eigentlich nicht. Nicht mehr.«
»Mr. Appleton, haben Sie eine Freundin?«
»Nein«, sagte Nick rauh.
»Ist sie gestorben?«
»Ja.«
»Vor kurzem?«
»Ja«, fauchte Nick.
»Sie müssen sich eine neue nehmen«, sagte Amos Ild.
»Wirklich?« fragte er. »Ich glaube nicht, daß ich je wieder eine Freundin haben möchte.«
»Sie brauchen eine, die sich um Sie kümmert.«
»Sie hat sich um mich gekümmert. Das brachte sie um.«
»Wie wunderbar«, sagte Amos Ild.
»Warum?« Nick starrte ihn an.
»Bedenken Sie, wie sehr sie Sie geliebt haben muß. Stellen Sie sich vor, daß jemand Sie so geliebt hat. Ich wollte, daß mich jemand so lieb hätte.«
»Ist das wichtig?« fragte Nick. »Ist es das, worum sich alles dreht. Nicht um Invasionen von fremden Wesen, um die Zerstörung von zehn Millionen hervorragender Gehirne, um den Wechsel politischer Macht – einer Elite – «
»Ich verstehe diese Dinge nicht«, sagte Amos Ild. »Ich weiß nur, daß es wunderbar ist, wenn jemand einen so liebt. Und wenn jemand Sie so liebt, müssen Sie es wert sein, also wird Sie bald jemand anderer wieder so lieben, und Sie werden die Liebe erwidern. Verstehen Sie?«
»Ich glaube schon«, meinte Nick.
»Nichts bedeutet mehr, als wenn ein Mensch sein Leben für einen Freund geben kann«, sagte Amos Ild. »Ich möchte das auch tun können.« Er setzte sich in einen Sessel und dachte nach. »Mr. Appleton«, fragte er schließlich, »gibt es noch andere Erwachsene wie mich?«
»In welcher Beziehung wie Sie?« erwiderte Nick ausweichend.
»Die nicht denken können. Die da eine leere Stelle haben.« Er legte die Hand auf die Stirn.
»Ja«, sagte Nick.
»Wird einer von ihnen mich lieben?«
»Ja«, sagte Nick.
Die Tür ging auf; der schwarzuniformierte Beamte stand da, mit einer Morphiumtablette und einem Becher Wasser in der Hand. »Noch fünf Minuten, Freund«, erklärte er, »dann geht es ab ins Lazarett.«
»Danke«, sagte Nick und schluckte die Pille.
»Sie haben wirklich große Schmerzen«, meinte der Mann. »Und Sie sehen aus, als würden Sie gleich umkippen. Es wäre nicht gut für den Kleinen«, – er brach ab und verbesserte sich –, »für Mr. Ild, wenn er das sehen würde. Es würde ihm Sorgen machen, und das will Grem nicht.«
»Es wird Lager für sie geben«, sagte Nick. »Wo sie auf ihrer eigenen Ebene miteinander verkehren können, statt sein zu wollen wie wir.«
Der Beamte brummte etwas und schloß die Tür hinter sich.
»Ist Schwarz nicht die Farbe des Todes?« fragte Ild.
»Das ist sie, ja.«
»Dann sind sie der Tod?«
»Ja«, entgegnete Nick. »Aber sie werden Ihnen nichts tun.«
»Ich hatte keine Angst davor, daß sie mir etwas tun werden. Aber nun dachte ich, Sie haben schon einen Armbruch, und vielleicht haben die Ihnen das zugefügt.«
»Ein Mädchen war die Ursache«, sagte Nick. »Eine kleine, stupsnasige Gossenratte. Ein Mädchen, für das – um alles
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