Eindeutig Liebe - Roman
Er sieht aus, als könnte er dein Leben retten
Sienna
Heute Morgen sitzt mir im Zug ein Pärchen gegenüber.
Männlein und Weiblein.
Beide müssen etwa Mitte zwanzig sein.
Er hat dichtes blondes Haar, grüne Augen und auf der ganzen Nase sexy Sommersprossen. Sie sehen aus wie Sterne an einem klaren Nachthimmel.
Ganz gut sieht er aus, aber er ist nicht mein Typ. Ich habe ihm gegenüber die gleichen Gefühle wie einem Gemälde von Monet: Mir gefällt, was ich sehe; es ist nett, aber nicht ganz mein Geschmack.
Im Stillen vermute ich, dass er Tom – oder zumindest so ähnlich – heißt und irgendwas mit PR macht. Ich denke das, weil er einen grauen Anzug trägt, der aussieht, als sei er von einem Designer, und einen lachsfarbenen Schlips.
Manchmal treibe ich gerne solche Fantasiespielchen.
Wahrscheinlich liege ich meistens völlig daneben, aber immerhin vergeht so die Fahrtzeit schneller.
Mit ihrem langen braunen Haar, das ein bisschen strähnig und zerzaust ist, aber noch immer so wirkt, als sei es Teil eines sorgfältig geplanten Looks, könnte sie eine Claire sein. Offensichtlich hat sie sich Mühe gegeben, so zu wirken, als sei es ihr egal, wie ihr Haar aussieht. Aber ich bin auch eine junge Frau, also durchschaue ich das sofort. Sie möchte, dass jeder denkt, sie sei gerade so aus dem Bett gefallen.
Ihre Nägel sind makellos lackiert – in einem Grauton –, und sie trägt eine enge schwarze Jeans mit teuer aussehenden Ballerinas im Nude-Look.
Claire sieht ein bisschen kreativer aus als ihr PR-Freund – der Schmuck verrät es (große Klunkerarmbänder und eine Kette mit exzentrischen Perlen). Ich vermute, sie macht beruflich irgendwas in der Kunstbranche. Wahrscheinlich kann sie selbst keinen Pinsel halten, aber vielleicht ist sie Galeristin und muss den Leuten erklären, was der Künstler mit seinen Farbklecksen an den Wänden ausdrücken möchte.
Ich kann mir gut vorstellen, dass sie gebildet ist und dass ihre Familie in Kent lebt, aber dreimal im Jahr Urlaub auf den Kaimaninseln macht.
Und ich wette, Tom liebt sie. Jedenfalls sieht es so aus, als täte er das. Er hat diese Aura eines Mannes, der sich nicht leicht ablenken lässt. So etwas ist wunderbar.
Eines ihrer Beine liegt auf seinem Schoß. Während sie die Zeitung liest, küsst er sie hin und wieder auf die Wange, und es hat ganz den Anschein, als wäre er in diesen Momenten mit sich und der Welt im Reinen. Mit der Liebe seines Lebens auf dem Weg zur Arbeit …
Ich seufze, als ich merke, dass ich die beiden anstarre. Ich bin einfach zu romantisch. Dabei bin ich mir sicher, dass sie die gleichen Probleme haben wie alle anderen auch – Sie wissen schon … dass sie sich wegen seines Schnarchens, ihrer Unfähigkeit, Straßenkarten zu lesen, und der Verteilung der Aufgaben im Haushalt streiten.
Trotzdem ist mir bewusst, dass ich zu Hause niemanden habe, der mich so liebt. Ich werde zwar auch geliebt, aber anders …
Ich nehme an, dass die Vormittage leichter sind, wenn man der PR-Mann Tom oder die Galerie-Frau Claire ist, als wenn man ich ist: Sienna Walker.
Vielleicht wird man dann von sanften Küssen geweckt und diesem ganz besonderen Gefühl von Haut an Haut, das man schon fast für selbstverständlich hält.
Warmer Atem am Gesicht und das Gefühl von Sicherheit.
Na, das hab ich nicht.
Mein typischer Morgen erinnert mehr an eine kalte Dusche.
Als der Zug losfährt, zucke ich zusammen. Wieder muss ich daran denken, wie mein Tag begonnen hat – und daran, dass ich es ganz bestimmt besser ertragen hätte, wenn ich neben dem Mann meiner Träume aufgewacht wäre. So wie Claire – oder wie auch immer sie wirklich heißt.
Um halb sieben hat der Wecker geklingelt. Es war ein schrilles, durchdringendes Piepen, bei dem sich meine Ohren am liebsten in meinen Kopf zurückgezogen und in die gepolsterten, warmen Windungen meines Gehirns gekuschelt hätten. Ich wollte nur weiterschlafen. Ich wollte zurück unter die Bettdecke – die sich weich anfühlte und nach Gänseblümchen roch – und mich vor der Welt verstecken. Kurz überlegte ich tatsächlich, ob ich mich krankmelden sollte, aber ich habe die Stelle noch nicht lang genug, um mir so etwas leisten zu können.
Der Morgen und ich, wir kommen nicht gut miteinander zurecht. Wir sind ein bisschen wie Käse und Marmelade – oder wie Schokolade und Humus –: einfach keine gute Kombination.
Also hievte ich meine schweren Glieder aus dem Bett und stellte die Füße auf den weichen
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