Die Meisterin der schwarzen Kunst
Carolus’ Stimme sie aus ihren Gedanken. «Ich bin schon gespannt, was mein alter Freund mir schreibt. Ihr könnt Euch ja gar nicht vorstellen, wie sehr wir um ihn in Sorge waren. Und um Euch natürlich auch.»
Verwirrt blickte Henrika den rundlichen Mann an, doch bevor sie den Mund öffnen konnte, erklärte David: «Der Festungsbaumeister konnte ihr kein Schreiben mitgeben, Meister. Leider hat sich Eure Befürchtung bestätigt. Er ist gestorben.»
Carolus starrte zuerst David und dann Henrika an. Er sagte kein einziges Wort und drückte seinen Hut so fest gegen die Brust, als fürchtete er einen Herzanfall.
«Gestorben, sagst du?», hakte stattdessen Laurenz mit gerunzelter Stirn nach. Er schien über Davids Botschaft eher verärgert als betroffen zu sein. Als sich jedoch seine und Henrikas Blicke kreuzten, lächelte er sie tröstend an. «Ich möchte Euch mein Mitgefühl aussprechen, Jungfer Henrika. Als ich Euch damals einlud, uns in Straßburg zu besuchen, rechnete ich nicht damit, Euch unter diesen traurigen Umständen begrüßen zu dürfen. Dennoch habt Ihr richtig gehandelt, indem Ihr Euch sogleich nach Straßburg begeben habt.»
David legte seine Hand auf die Schulter des Meisters, woraufhin Carolus den Kopf hob und seinen Gesellen verstört anblickte. «Er ist also tot», murmelte er. «Dann können wir also auch von ihm keine Hilfe mehr erwarten. Nicht dass mich der Tod eines Freundes kaltlassen würde, das darf niemand denken. Aber …» Hilflos hob er die Hand. «Insgeheim hoffte ich doch in all den kalten und finsteren Wochen, die hinter uns liegen, dass Barthel sich regen und uns das Geld schicken würde, das er mir versprochen hat. Oder die Druckerpresse.»
David räusperte sich. «Ich habe der Jungfer Henrika mein Wort gegeben, dass wir den letzten Wunsch ihres Vormunds beherzigen werden.»
«Und der wäre?»
«Barthel wollte, dass sie hier in Straßburg in unser Handwerk eingeführt wird. Er scheint sie bestens darauf vorbereitet zu haben, denn sie liest und schreibt besser als so mancher Student. Außerdem hegt sie selbst den brennenden Wunsch zu lernen, wie eine Gazette gemacht und verkauft wird.»
Meister Carolus nickte Henrika zu. «Ihr könnt natürlich bleiben, solange Ihr wollt. Allerdings wird es in meinem Haus recht eng werden. Die Gesellenstuben sind belegt, und ich kann unserer alten Magd nicht zumuten, ihr winziges Kämmerchen mit einer jungen Frau zu teilen.»
«Dafür ist bereits gesorgt.» David grinste, wofür er einen weiteren misstrauischen Blick seines Bruders erntete. «Henrika kann bei unserer Base Emma am Metzgerturm wohnen. Sie und ihr Mann freuen sich, wenn jemand im Haus ist, der ihnen zur Hand gehen kann.»
«Du scheinst ja schon alles in die Wege geleitet zu haben, Bruder», sagte Laurenz. Es klang alles andere als erfreut, was Henrika verwunderte. Regte sich in ihm etwa Eifersucht auf seinen jüngeren Bruder?
David tat so, als bemerke er Laurenz’ finstere Miene nicht. Stattdessen gab er Henrika mit einem kurzen Nicken zu verstehen, dass nun sie an der Reihe war. Widerwillig stand sie auf und zog das von Emma geliehene Schultertuch straff. David hatte ihr eingetrichtert, was sie sagen sollte, und jetzt war sie froh darüber. Hätte sie eigene Worte finden müssen, sie wäre restlos überfordert gewesen. Auch so fehlte ihr fast der Mut. Sie schämte sich, als sie die erwartungsvollen Blicke der Männer bemerkte. Doch es gab keinen anderen Weg. Wenn sie zugab, dass Barthel ermordet worden war, würde Carolus Boten nach Mannheim schicken; und sie würden mit der Neuigkeit zurückkehren, dass man in ihr eine flüchtige Mörderin sah. Sie durfte nicht zulassen, dass die Straßburger Erkundigungen anstellten. Nicht, bevor sie einen Beweis für Annas Schuld in Händen hielt und sich von allen Vorwürfen reinwaschen konnte. Bedauerlicherweise war der Einzige, der ihr dabei helfen konnte, nicht Laurenz, sondern David.
«Barthel, mein Vormund, fiel einem bedauerlichen Unglück zum Opfer», log sie schweren Herzens. «Ein Stein brach ihm das Genick, während er auf der Festungsbaustelle seine Berechnungen überprüfte. Doch vor seinem Tod wies er mich an, Euch das Geld zu überbringen, das Ihr für die Gazette braucht.»
Carolus wischte sich mit dem Ärmel über das Gesicht. Er schien gerührt zu sein, und Henrika wäre am liebsten im Boden versunken. Ihre Geschichte war auf fruchtbaren Boden gefallen, niemand zweifelte an ihren Worten. Sie würden nicht weiter in sie
Weitere Kostenlose Bücher