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Die Meisterin der schwarzen Kunst

Die Meisterin der schwarzen Kunst

Titel: Die Meisterin der schwarzen Kunst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guido Dieckmann
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Fahne.
    «Wenn der Kerl es nicht schafft, unsere Zeitungen unters Volk zu bringen, schafft es niemand», verkündete Carolus zufrieden.
    Am schönsten fand Henrika die Stunden, die sie gemeinsam mit David und Laurenz verbrachte, um beim Schein einer Kerze Nachrichtenblätter zu sortieren, während der Regen an die Fensterscheiben trommelte und über ihren Köpfen frische Drucke an einem straff gezogenen Seil trockneten.
    Sie liebte den Geruch des Papiers, ja sogar der Schwärze, und genoss Laurenz’ Blicke, die von Tag zu Tag hungriger zu werden schienen.
    Was mochte er von ihr erwarten? Ihre Erfahrungen mit Männern waren kaum der Rede wert, und sie hätte sich lieber die Zunge abgebissen, als Emma ins Vertrauen zu ziehen. Was Laurenz betraf, war sie sich nicht sicher, wie sie sich verhalten sollte, und beschloss, zunächst abzuwarten. Vermutlich schadete es nicht, wenn sie ihn glauben ließ, die Arbeit für Carolus fülle sie so sehr aus, dass ihr keine Zeit blieb, sich nach ihm zu verzehren.
    In der Tat brütete sie zuweilen so lange in der Werkstatt über den Papierbogen, dass sie vom Ruf des Nachtwächters überrascht wurde, der auf der Gasse mahnte, die Lichter zu löschen und sich zur Ruhe zu begeben. Laurenz brachte sie dann gern nach Hause; im Schutz der Dunkelheit wagte er, was er sich am helllichten Tag nicht erlaubte. Wenn Henrika schließlich in ihrem Bett lag und die Decke über die Schultern zog, klopfte nicht nur ihr Herz. Ihre Glieder schienen zu zittern, so sehr sehnte sie sich danach, endlich einmal mit Laurenz allein zu sein. Sie wusste, dass er in Kürze von den Straßburger Zunftherren geprüft werden würde, ob er schon so weit war, sich Meister nennen zu dürfen. Gesellen durften weder heiraten noch eine Familie gründen, doch Meistern war es erlaubt.

    Nicht alle Botschaften, die das Haus in der Kruggasse erreichten, waren es auch wert, in der Gazette abgedruckt zu werden.
    Die Nachrichtensortierer lieferten sich mit den Setzern oft so erbitterte Wortwechsel, dass sie in Handgreiflichkeiten übergingen. Meist beendete Laurenz den Tumult, indem er seine Ärmel aufrollte und ebenfalls die Fäuste sprechen ließ. Er war größer und stärker als die schmächtigen Gesellen in der Werkstatt und scheute sich nicht vor einer tüchtigen Rauferei, während David es vorzog, die Setzer durch gutes Zureden und Argumente zu überzeugen. Henrika hielt sich aus den Konflikten heraus und bemühte sich stattdessen, ein Gespür für den Wahrheitsgehalt einer vorgelegten Notiz zu entwickeln, was nicht einfach war. Viele Briefe, die in der Kruggasse abgegeben wurden, stammten aus den Städten des Reiches und beeindruckten weder Carolus noch seine Helfer sonderlich.
    «Mit Neuigkeiten, die schon heute in jedem Wirtshaus der Stadt die Runde machen oder auf dem Münstervorplatz verkündet werden, verdienen wir keinen roten Heller», erklärte Carolus, als er eines Tages Henrikas Notizen durchging.
    «Der Brand einer Kirche in Rosheim ist für die Betroffenen durchaus entsetzlich, aber warum sollten sich Straßburger Kaufleute dafür interessieren?»
    Henrika begriff, dass es dem Drucker hauptsächlich darauf ankam, Nachrichten für Händler, den Magistrat und Personen höheren Standes weiterzugeben. Die Meldungen durften nicht kommentiert werden, sondern mussten für sich allein sprechen. Schüchtern zeigte Henrika dem Meister eine Notiz, die sie am Tag zuvor für zwei Batzen, drei Kreuzer von einem Kohlenhändler erworben hatte. Sie handelte von einer gewaltigen Überschwemmung. Wie es aussah, war der Rhein im nördlich gelegenen Flachland aufgrund des anhaltenden Regens der vergangenen Wochen über seine Ufer getreten und hatte die Aussaat der Bauern empfindlich beschädigt.
    Carolus las, stutzte kurz und nickte dann zufrieden.
    «Die Nachricht von der Überschwemmung werden wir ohne weiteren Kommentar drucken. Sie ist sehr interessant, und wer zwischen den Zeilen zu lesen versteht, wird erkennen, dass uns eine Missernte, ja möglicherweise ein Anstieg der Getreidepreise bevorsteht. Die Kaufleute werden sich bemühen, die Kornspeicher aufzufüllen, und sich damit eine goldene Nase verdienen.»
    «Das ist nicht gerecht», wagte Henrika einzuwerfen. «Wenn der Brotpreis steigt, müssen auch in Straßburg viele Arme hungern.» Sie hatte geahnt, dass die erste von ihr persönlich erworbene Nachricht nicht unbedeutend war, verspürte nun aber leichte Gewissensbisse. Sie hatte den Kohlenhändler nicht bezahlt, um die

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