Die Meisterin der schwarzen Kunst
haben. Es gibt nicht mehr viele Jungfern deines Alters im Dorf.»
Henrika atmete tief ein. Sie spürte, dass Elisabeth ihr nicht alles sagte, was sie über die Pläne ihrer Schwester wusste, aber so geschickt sie es auch anstellte, es gelang ihr an diesem Abend nicht, der Tante mehr als ein paar Andeutungen zu entlocken.
Schließlich gab sie es auf und verabschiedete sich.
2. Kapitel
Auf dem Heimweg dachte Henrika über die Worte ihrer Tante nach. Würde es ihr mit einem Ehemann tatsächlich besser ergehen? Hatte sie kein Verlangen nach einem Gehöft, auf dem sie als Ehefrau das Sagen hatte und nicht nur geduldet wurde? Der Gedanke an eine Heirat hatte gewiss einiges für sich. Auch wenn es in diesem Fall galt, den Hahns und Elisabeth für immer Lebewohl zu sagen, war Henrika davon überzeugt, dass der Sprung ins Ungewisse einem Leben als verachtete Außenseiterin vorzuziehen war.
Trotz der Kälte hatte Henrika es plötzlich nicht mehr eilig, nach Hause zu kommen. Sie träumte selten, denn meistens gab es im Haus der Hutmacher so viel Arbeit, dass ihr keine Zeit blieb, ins Grübeln zu kommen. Nun aber genoss sie es, ihre Gedanken schweifen zu lassen und gemächlich an den Holzhäusern und Scheunen vorbeizulaufen. Das Dorf hatte sich seit Regierungsantritt des Kurfürsten ausgedehnt. Die staubige Straße, die von zwei Gräben gesäumt wurde, reichte nun fast bis an die Felder und Weingärten heran. Neben den Wiesen, die hinter dem Schafgarten lagen, waren eine Hufschmiede, ein Räucherhaus und eine Mühle entstanden. Henrika atmete tief durch. Die Luft, die von den beiden Flussarmen zu ihr heraufstieg, war eisig. Eine Katze strich auf der Suche nach Vögeln durch das dichte Unterholz. Es war seit Tagen frostig. In den Eimern, die an einer Stange über dem Dorfbrunnen hingen, hatte sich eine dicke Eisschicht gebildet.
Als Henrika den Kirchhof überquerte, musste sie an die Frau denken, die sie als kleines Kind Mutter genannt hatte. Nur wenige Erinnerungen waren ihr geblieben, die sich hin und wieder in ihre Träume drängten, wie die an eine zierliche, dunkelhaarige Frau, die sie anlächelte und ihr befahl, ihre Hand nicht loszulassen.
Aber sie hatte die Hand losgelassen, und im Lauf der Jahre war das Bild der Frau in Henrikas Gedächtnis verblasst wie eine Blume, die man zum Trocknen zwischen zwei Holzbrettchen presst. So gern sie sich auch an der Vergangenheit festgehalten hätte, sie erinnerte sich nicht mehr an das Leben, das sie geführt hatte, bevor die Hutmacher sie ins Dorf gebracht hatten. Den Andeutungen der Pflegeeltern entnahm sie, dass sie in einer großen Stadt gelebt hatte, vielleicht in Heidelberg. Schließlich musste es einen Grund dafür geben, dass ihr Pflegevater es stets ablehnte, sie mitzunehmen, wenn er den Markt dort besuchte oder im Schloss Hüte ablieferte. In all den Jahren hatte er ihr nie erlaubt, das Dorf zu verlassen. Fürchtete er etwa, jemand könnte sie in Heidelberg wiedererkennen, weil sie ihrer leiblichen Mutter ähnlich sah?
Es gab Tage, da wünschte sich Henrika nichts sehnlicher, als mehr über die Frau in Erfahrung zu bringen, die ihr das Leben geschenkt hatte. Es musste doch jemanden geben, der etwas über sie sagen konnte. Wenn man ihrer Mutter vorgeworfen hatte, Ehebruch begangen zu haben, so musste sie verheiratet gewesen sein. Aber mit wem? An ihren leiblichen Vater konnte Henrika sich nicht erinnern. Sie war sich ziemlich sicher, dass sie bis zu jenem verhängnisvollen Tag, an dem man sie aus dem Schlaf gerissen und in ein verlassenes Gutshaus gebracht hatte, mit ihrer Mutter allein gelebt hatte. Aber wie schwer wogen schon die Erinnerungen eines kleinen Mädchens? Als sie es vor Jahren einmal gewagt hatte, die Hutmacherin auf ihre Herkunft anzusprechen, war diese so wütend geworden, dass sie es fortan unterlassen hatte, das Thema anzuschneiden. Auch der Pfarrer, der in Heidelberg viele Gelehrte, Edelleute und sogar einige Hofbeamte des Kurfürsten kannte, zeigte für Henrikas Fragen kein Verständnis. Er hatte sie ermahnt, nicht hochmütig zu werden. Selbst wenn sie in einem herrschaftlichen Haus zur Welt gekommen sei, läge es doch auf der Hand, dass etwaige Vorrechte ihrer Geburt durch die Verbannung ihrer Mutter getilgt worden waren. Der Geistliche hatte Henrika das Versprechen abgenommen, den Hutmacher zu ehren und niemals einen Versuch zu unternehmen, etwas über ihre Vergangenheit herauszufinden, denn schließlich sei ihre Familie durch die Sünde eines
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