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Die Meisterin der schwarzen Kunst

Die Meisterin der schwarzen Kunst

Titel: Die Meisterin der schwarzen Kunst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guido Dieckmann
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Schwachkopf verwechselt werden?»
    Der Flickschuster imitierte Lutz, indem er die Augen verdrehte und in die Hände klatschte. Seine Kameraden prusteten vor Lachen los, verstummten jedoch sofort, als Bunter ihnen mit einem strengen Blick bedeutete, leise zu sein.
    «Mir war sogleich klar, dass die feine Henrika, der Schutzengel der geistig Armen, es nicht übers Herz bringen würde, ihren Freund zu später Stunde allein durchs Dorf irren zu lassen», höhnte er.
    Henrikas Wangen brannten vor Scham. «Also schön, ihr habt euren Spaß gehabt. Befreit mich jetzt aus diesem Netz, es tut mir weh. Außerdem wird meine Mutter das ganze Dorf nach mir absuchen, wenn ich zu spät nach Hause komme.» Es war eine Lüge der Verzweiflung, denn im Ort wusste jeder, dass Agatha Hahn nicht im Traum daran gedacht hätte, auf der Suche nach Henrika nachts durch die Kälte zu streifen.
    Bunter starrte sie triumphierend an. Er schien es zu genießen, die Tochter der Gebrandmarkten hilflos zu seinen Füßen liegen zu sehen.
    «Der Spaß beginnt erst, Täubchen», erklärte er. Dann gab er den Männern ein Zeichen. Sie nickten Bunter zu und zogen ihre dicken Wämser aus.
    In einem Winkel der Scheune stand ein dreibeiniges Kohlenbecken. Während einer der Bauern mit zwei kleinen Reibsteinen und einer Zunderbüchse ein Feuer entfachte, machte sich ein anderer an einem Sack zu schaffen. Henrika konnte nicht erkennen, was er ihm entnahm. Als ihr ein feiner Brandgeruch in die Nase stieg, überfiel sie eine lähmende Angst. Sie wollte aus vollem Halse schreien, doch dann erinnerte sie sich an die Warnung des Flickschusters. Er hatte keine Skrupel, sie wusste, dass er sie und alle, die ihr im Dorf etwas bedeuteten, ins Unglück stürzen würde. Als Kind hatte sie einmal ein paar Frauen am Brunnen davon erzählen hören, wie es war, wenn Frauen gezwungen wurden, Männern zu Willen zu sein. Die alte Federhändlerin, die aus dem Osten stammte, hatte es in ihrer Jugend selbst erlebt. Fremdes Kriegsvolk war durch ihr Dorf gezogen. Doch vor der Schlacht hatten die Kriegsknechte genug Zeit gefunden, gegen die wehrlosen Frauen Krieg zu führen. Gegen all jene, die nicht rasch genug in den Wald hatten fliehen können. Die alte Federhändlerin war in einer Nacht mehrere Male geschändet worden, ehe sie mit letzter Kraft hatte fliehen können. Im Dorf galt sie als wunderlich. Sie träumte von brennenden Sternen, die zur Erde fielen, und sah die Flüsse, an denen das Dorf lag, gefüllt mit Blut. Seit Henrika die Unterhaltung mit angehört hatte, wusste sie, dass es für eine Frau nichts Schrecklicheres gab, als einer Rotte von Männern in die Hände zu fallen, die ihr Übles wollten.
    «Wenn du es wagst, mich anzurühren, wird dir kein Mensch mehr glauben, dass du mich bei einem Raubzug ertappt haben willst», fauchte Henrika den Flickschuster an. «Ich habe nichts getan, und es war meine Pflicht, das Geld für die Fluchgeldbüchse von dir zu verlangen.»
    Bunter blieb stumm. Mit verbissener Miene griff er in die Maschen des Netzes und schleppte Henrika einige Schritte quer über den Scheunenboden. Dabei wirbelte er so viel Staub und Stroh auf, dass Henrika nach Atem ringen musste. Plötzlich wurde das Netz über eine Seilwinde hinaufgezogen; sie verlor den Boden unter den Füßen und schaukelte nur wenige Augenblicke später an einem Haken drei Fuß über dem Lehmboden. Schmerzhaft schnitten die Maschen in ihr Fleisch.
    «Fertig», ließ sich die Stimme des Mannes am Kohlenbecken vernehmen. «Das gute Stück glüht so rot wie der Schwanz des Leibhaftigen!»
    Wilhelm Bunter lachte gehässig. Er bohrte Henrika die Spitze seines Schuhs in die Rippen, damit sie die Augen öffnete und ihn anschaute. «Deine Mutter war doch eine Gebrandmarkte, nicht wahr? Man hat ihr wegen Unzucht und Ausschweifung ein Schandmal verpasst und sie anschließend mitsamt ihrem Balg aus der Stadt getrieben.»
    Henrika schwieg. Erst als Bunter sie mit weiteren Tritten traktierte, rang sie sich ein trotziges Nicken ab.
    «Hast du dich nicht oft gefragt, was sie fühlte, als das glühende Eisen ihren Nacken liebkoste und mit ihrer Haut verschmolz?»
    Henrikas Herz klopfte vor Angst gegen die Rippen, als suche es einen Ausgang aus ihrem Leib.
    «Du wirst gleich das Vergnügen haben, dieses Gefühl kennenzulernen», sagte Bunter. «Eine Hurentochter, die dreist genug ist, Männer im Wirtshaus zu beleidigen, sollte einen Denkzettel erhalten, der sie ihr ganzes Leben lang daran erinnert,

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